Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
seine Florentiner Braut nach Paris zu holen – um sie zu rauben, wie Rosen sich ausdrückte. Die Zeit lief ihnen davon; sie konnten nicht länger warten. In einem Monat würde sie mit dem alten Bock verheiratet werden, dem sie von ihren Eltern versprochen worden war.
Rosen schlug mit der Faust auf den Tisch. »An die Waffen, Männer«, sagte er. »Um jeden Preis müssen wir das Mädchen vor dem alten Bock retten.«
Shalhevet stimmte ihm zu. »Sehe ich genauso«, sagte sie. »Keine alten Böcke für junge Mädchen.«
»Ihr müsst einfach aus allem einen Witz machen«, sagte Ben Yakov.
»Entschuldige mal, das ist doch auch deine liebste Angewohnheit«, sagte Polaner.
»Dies ist der entscheidende Augenblick meines Lebens«, verkündete Ben Yakov. »Ich darf Ilana nicht verlieren. Seit vier Monaten schufte ich wie ein Tier, um sie herholen zu können. Tag und Nacht, in der Schule und in der Bibliothek, ich versuche jeden Centime zu sparen. Ich habe an nichts anderes mehr gedacht als an sie. Fast jeden Tag habe ich ihr geschrieben. Ich war so enthaltsam wie ein Mönch.«
»Entschuldige«, sagte Rosen, »und was war letztes Wochenende im Tanzclub Carousel? Was hattest du da mit Lucia zu suchen, wenn du so enthaltsam warst wie ein Mönch?«
»Ein kleiner Ausrutscher!«, sagte Ben Yakov und hob die Hände gen Himmel. »Der Abschied vom Junggesellendasein.«
Andras schüttelte den Kopf. »Dir muss doch klar sein, dass du einen furchtbaren Ehemann abgeben wirst«, sagte er. »Du solltest noch ein paar Jährchen warten, bis sich dein Blut ein bisschen abgekühlt hat.«
Ben Yakov sah stirnrunzelnd auf sein leeres Glas. »Ich liebe Ilana«, sagte er. »Wir können nicht länger warten. Aber mir fehlen noch tausend Francs. Das Geld für meine Hin- und Rückreise habe ich zusammen, aber mir fehlt das Geld für ihre Fahrkarte.«
»Was ist mit deinem Bruder?«, fragte Polaner, an Andras gewandt. »Kann er vielleicht aushelfen?«
In drei Wochen würde Tibor zu Besuch kommen; er wollte seinen Winterurlaub in Paris verbringen. Andras und er hatten das Geld seit Monaten gespart. Sogar Klara hatte etwas zur Fahrkarte beigesteuert; sie war der Meinung, als Andras’ Verlobte das Recht dazu zu haben. »Ich möchte nicht, dass er seine Fahrkarte abgibt«, sagte Andras. »Auch nicht für die Verlobte von Ben Yakov.«
»Er müsste sie ja gar nicht abgeben«, sagte Rosen. »Ben Yakov könnte seiner Freundin die Fahrkarte bezahlen, wenn er für sich selbst keine braucht. Und dann könnte Tibor das Mädchen begleiten. Er müsste nur über Florenz fahren, mehr nicht.«
Ben Yakov erhob sich von seinem Stuhl. Er legte die Hände an den Kopf. »Das ist genial«, rief er. »Mein Gott, das könnte klappen. So viel kann es nicht kosten, von Modena nach Florenz zu fahren.«
»Moment mal kurz«, unterbrach Andras. »Tibor weiß bis jetzt noch nichts davon, und ich habe noch nicht zugestimmt. Wie soll das funktionieren? Er fährt nach Florenz und brennt an deiner Stelle mit Ilana durch?«
»Er trifft sich mit ihr am Bahnhof, und sie fahren gemeinsam weiter«, erklärte Rosen. »Stimmt doch, Ben Yakov, oder? Er müsste sie einfach nur in Florenz abholen.«
»Aber was ist, wenn sie hier ankommt?«, fragte Andras. »Sie kann nicht einfach aus dem Zug steigen und dich auf der Stelle heiraten. Wo soll sie bis zur Hochzeit wohnen?«
Ben Yakov starrte vor sich hin. »In meinem Apartment natürlich.«
»Aber sie ist ein strenggläubiges Mädchen!«
»Sie kann mein Zimmer haben. Ich wohne so lange bei einem von euch.«
»Bei mir nicht«, rief Rosen mit einem Seitenblick auf Shalhevet.
»Wenn Shalhevet bei dir wohnt«, sagte Ben Yakov, »könnte Ilana doch bei ihr übernachten.«
»Du kannst sie nicht ganz allein in einem Wohnheim unterbringen«, sagte Shalhevet. »Da wird sie sich furchtbar fühlen.«
»Na, was soll ich denn tun?«, fragte Ben Yakov.
»Was ist mit Klara?«, fragte Polaner. »Könnte Ilana nicht bei ihr wohnen?«
Andras legte das Kinn in die Hand. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Sie übt gerade mit ihren Schülern für die Winteraufführung. In dieser Zeit ist am meisten zu tun.« Und obwohl er es nicht laut sagte, wusste er, dass einiges an der Situation Klara nicht gefallen würde. Was dachten sie sich dabei, eine Braut für Ben Yakov ins Land zu holen, für diesen berüchtigten Schürzenjäger? Das Mädchen lief von zu Hause fort und kam nach Paris; sie war in einer engen sephardischen Gemeinde in Florenz aufgewachsen
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