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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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von einem Mädchen in einer steifen weißen Schürze empfangen, die ihnen die Mäntel abnahm und sie in einen Salon mit Parkettboden führte. Das Gebäude stammte aus der Belle Époque, doch Madame Gérard hatte ihre neue Wohnung modern eingerichtet: Im Salon fanden sich lange schwarze Ledersofas, Glasregale mit afrikanischen Masken und Vasen aus geädertem Malachit. Grasgrüne Vorhänge schmückten die Fenster, und zwei Stahltische standen wie schlankbeinige Windhunde neben den Sofas parat. Die Tische zierten zwei Objekte von Brancusi, zwei starre Flammen aus schwarzem Marmor. Das alles war die Frucht ihrer jüngsten Erfolge; bei jeder Rolle, die Madame Gérard seit Die Mutter gespielt hatte, lag Paris ihr zu Füßen, gerade hatte sie mehrere begeisterte Kritiken für ihre Antigone am Théâtre des Ambassadeurs erhalten, dessen kunstvolles surrealistisches Bühnenbild Andras und Forestier gestaltet hatten. Jetzt durchquerte Madame Gérard in einem chartreusegrünen Seidenkleid den Salon, um Andras und Klara willkommen zu heißen. Sie gab beiden einen Kuss, und nachdem sie sich gegenseitig begrüßt hatten, führte sie Andras zu einem schwarz lackierten Konsolentisch, an dem die Getränke eingeschenkt wurden.
    »Na, Sie haben sich aber gemacht«, sagte sie und strich über sein Revers. »Doch noch ein Gentleman geworden. Der Smoking steht Ihnen. Vielleicht bekomme ich heute Abend noch einen schrecklichen Eifersuchtsanfall.«
    »Es war nett von Ihnen, mich einzuladen«, sagte Andras. Er hörte die künstliche Ruhe in seiner Stimme und meinte, den Anflug eines Lächelns in Madame Gérards Mundwinkel zu sehen.
    »Es ist nett von Ihnen, dass Sie mir an meinem Geburtstag Ihre Zeit schenken«, gab sie zurück. Und fügte mit kokettem Unterton hinzu: »Ich denke, Ihnen werden die Gäste gefallen. Unser Freund Monsieur Novak mit seiner Frau ist auch da. Wissen Sie schon, dass sie nach Ungarn zurückkehren werden?« Sie wies mit dem Kopf in eine Ecke des Raumes, wo Novak und seine Frau sich mit einem silberhaarigen Herrn mit Halstuch unterhielten. »Ich muss sagen, er war doch überrascht, als ich ihm berichtete, dass Klara und Sie kommen würden. Ich nehme an, Sie wissen Bescheid?«
    »Ja, ich weiß genau Bescheid«, sagte Andras. »Obwohl ich mir sicher bin, dass es Ihnen lieber wäre, wenn ich nichts wüsste. Dann hätten Sie nämlich Ihren Spaß dabei gehabt, es mir selbst zu erzählen, nicht wahr?«
    »Ich habe mich immer nur um Ihr Wohlergehen gesorgt«, sagte Madame Gérard. »Ich habe Sie davor gewarnt, sich mit Klara einzulassen. Ich muss zugeben, dass ich erstaunt gewesen bin, als ich hörte, dass es zwischen Ihnen und Klara so ernst geworden ist. Ich war überzeugt, sie würde Sie lediglich als einen Zeitvertreib betrachten.«
    Andras spürte, wie ihm die Hitze unter die Haut stieg. »Offenbar besteht Ihr Zeitvertreib darin«, begann er spitz, »Leute zu sich einzuladen und sie dann zu beleidigen.«
    »Ich muss Sie doch bitten, mein Lieber«, sagte Madame Gérard. »So gerissen, wie Sie meinen, bin ich nicht, das ist zu viel der Ehre. Wie soll man die romantischen Angelegenheiten der anderen immer so genau im Blick behalten? Wenn ich nur die Freunde eingeladen hätte, deren Beziehungen untereinander unkompliziert sind, dann wäre niemand gekommen!«
    »Ich kenne Sie besser«, sagte Andras. »Ich glaube nicht, dass Sie irgendetwas ohne Absicht tun.«
    »Nun, ich merke schon, dass Sie mich völlig romantisiert haben«, sagte sie, offenbar zufrieden. »Was für ein reizender junger Mann Sie doch sind.«
    »Und wann genau bricht Monsieur Novak nach Ungarn auf?«, fragte Andras.
    Madame Gérard lachte, dissonant und tief. »Im Januar«, sagte sie. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie traurig sind, wenn er geht. Obwohl ich mir nicht sicher bin, wie Klara es aufnimmt. Sie standen sich immer sehr nahe, wissen Sie.« Madame Gérard reichte ihm ein Glas Whisky mit Eis und sah sich nach Klara um, die neben Novak auf einem tiefen schwarzen Sofa Platz genommen hatte. »Machen Sie sich im Übrigen keine Gedanken darüber, was die Leute über Sie und Klara sagen – über Ihre Verlobung, meine ich. Jeder liebt Klaras exzentrische Ideen. Ich für meinen Teil finde die Situation unwiderstehlich. Wie im Märchen! Sehen Sie sich an! Klara hat Sie von einem Frosch in einen Prinzen verwandelt.«
    »Wenn das alles ist«, sagte Andras, »bringe ich Klara jetzt etwas zu trinken.«
    »Besser wäre es«, gab Madame Gérard zurück.

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