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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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»Sonst würde er sich gleich verpflichtet fühlen, ihr ein Glas zu besorgen.« Wieder warf sie einen Blick hinüber zu dem niedrigen schwarzen Sofa, wo Novak eindringlich auf Klara einredete. Klara schüttelte den Kopf und lächelte traurig; Novak schien auf seinem Standpunkt zu beharren, Klara senkte den Blick.
    Andras holte ihr ein Glas Wein und schob sich durch ein Knäuel von Gästen in Abendkleidung; er streifte Novaks Frau Edith, eine große dunkelhaarige Dame in einem Samtkleid, die stark nach Jasmin duftete. Als er sie zum letzten Mal gesehen hatte, fast ein Jahr zuvor im Sarah-Bernhardt, hatte sie ihm ihre Tasche gereicht, während sie nach einem Tuch suchte. Sie hatte ihn so wenig beachtet wie einen Haken an der Wand. Jetzt stand sie mit steifem Rücken da, während eine andere Frau sich zu ihrem Ohr vorbeugte; es lag auf der Hand, dass diese Bekannte ihr über den Verlauf von Novaks Zwiegespräch mit Klara berichtete. Als Andras ans Sofa trat, erhob sich Monsieur Novak und hielt ihm eine feuchte rote Hand entgegen. Sein Blick war wund, sein Atem schwer. Nach den ersten Worten der Begrüßung schien er unfähig, ein Gesprächsthema zu finden.
    »Ich habe gehört, Sie fahren heim nach Budapest«, sagte Andras.
    Novak lächelte gezwungen. »Ja, das stimmt. Aber wie soll ich diesmal angenehme Gesellschaft für die Mittagszeit finden? Madame Novak bevorzugt den Speisewagen.«
    »Wahrscheinlich werden Sie irgendeinen jungen Narren auf dem Weg von Paris nach Budapest kennenlernen, den Sie aufheitern können.«
    »Wer jung ist und zurück nach Budapest fährt, muss wahrlich ein Narr sein.«
    »Budapest ist ein guter Ort für einen jungen Mann«, erwiderte Andras.
    »Dann hätten Sie vielleicht dort bleiben sollen«, sagte Novak und beugte sich ein wenig zu weit vor; in dem Moment merkte Andras, dass er betrunken war. Natürlich war es Klara inzwischen auch aufgefallen; sie erhob sich und legte die Hand auf Novaks Ärmel. Eine Stichflamme der Verstimmung loderte in Andras’ Brust auf. Wenn Novak sich zugrunde richten wollte, sollte Klara sich nicht verpflichtet fühlen, ihn noch zu beschützen. Doch sie warf Andras einen um Nachsicht flehenden Blick zu, und er hielt sich zurück. Er konnte es Novak nicht verübeln. Es waren schließlich erst drei Monate vergangen, seit Andras selbst betrunken bei József Hász getobt und geheult hatte.
    »Monsieur Novak erzählte mir gerade von seiner neuen Stellung an der Königlich-ungarischen Oper«, sagte Klara.
    »Ah, ja. Die können von Glück sagen, Sie zu bekommen«, sagte Andras.
    »Tja, Paris wird mich wohl nicht vermissen«, sagte Novak und sah Klara nachdrücklich an. »So viel ist sicher.«
    Madame Gérard kam quer durch das Zimmer, gesellte sich zu den dreien und nahm Novaks Hände in ihre. »Wir werden dich ganz furchtbar vermissen«, sagte sie. »Besonders für mich ist das ein schmerzhafter Verlust. Was werde ich nur ohne dich tun? Wer wird zukünftig meine Abendgesellschaften leiten?«
    »Du wirst deine Gesellschaften selbst leiten, wie immer«, sagte Novak.
    »Nicht ›wie immer‹«, gab sie zurück. »Früher war ich krankhaft schüchtern. Du hast mir immer die ganze Konversation abgenommen. Aber vielleicht weißt du das gar nicht mehr. Vielleicht weißt du nicht mehr, dass du mich in deinem Büro mit Wein gefügig machen musstest, nur damit ich die Rolle von Madame Villareal-Bloch übernehme.«
    »Ach ja, die arme Claudine«, sagte Novak, und seine Stimme wurde lauter. »Sie war genial, aber hat für diesen jungen Kerl alles hingeworfen. Diesen Presseattaché aus Brasilien. Sie folgte ihm nach São Paolo, und dann ließ er sie wegen einer jungen Nutte fallen.« Böse funkelte er Andras an. »Dabei war sie so fest überzeugt, dass er sie liebte. Aber er hielt sie zum Narren.« Novak leerte sein Glas, ging ans Fenster und schaute hinab auf die Straße.
    Eine Welle des Schweigens breitete sich von Novak auf die anderen Gäste aus; in einer Gruppe nach der anderen verstummten die Gespräche. Es war, als hätten alle den Wortwechsel zwischen Andras, Klara und Novak verfolgt; fast so, als sei die Situation allen Gästen im Vorfeld geschildert und ihnen geraten worden, ihr besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich räusperte sich vorsichtig eine ältere Frau in einem schwarzen Kleid von Mainbocher, stärkte sich mit einem Schluck Gin und erklärte, sie habe gerade gehört, dass die vierzigtausend von Monsieur Reynaud gekündigten Eisenbahner nun doch

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