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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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und erst neunzehn Jahre alt. Tibor hineinzuziehen war das eine, doch Klara um ihre Komplizenschaft zu bitten, etwas ganz anderes.
    Beunruhigt schaute Polaner Andras an. »Was ist?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht genau. Ich habe auf einmal so meine Zweifel, was die ganze Sache angeht.«
    »Bitte«, sagte Ben Yakov und legte eine Hand auf Andras’ Schulter. »Ich flehe dich an. Du müsstest meine Situation doch wohl am ehesten verstehen. Du hast ein Jahr lang gekämpft, und jetzt bist du glücklich. Kannst du mir nicht helfen? Ich weiß, dass ich mich nicht immer wie ein Ehrenmann verhalten habe, aber du weißt auch, wie hart ich gearbeitet habe, seit ich aus Florenz zurück bin. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um das Mädchen herzuschaffen.«
    Andras seufzte und legte seine Hand auf die von Ben Yakov auf seiner Schulter. »In Ordnung«, sagte er. »Ich werde Tibor schreiben. Und mit Klara sprechen.«
    Modena, Italien
    12. Dezember
    Andráska,
    es ist eine Ehre für mich, gebeten zu werden, die zukünftige Madame Ben Yakov nach Paris zu geleiten. Gerne bin ich jedem Freund von Dir eine Hilfe. Aber die Eltern des Mädchens tun mir leid! Was werden sie denken, wenn sie erfahren, dass ihre Tochter fort ist? Ich hoffe, Ben Yakov wird sich mit ihnen versöhnen, sobald es geht. Er ist so charmant, dass es ihm gelingen könnte. Bitte sorg dafür, dass er mir die Reisedaten von Signorina di Sabato telegrafiert, dann treffe ich mich mit ihr am Bahnhof in Florenz.
    Was mich angeht, so bin ich überreif für ein paar träge Wochen mit Dir in Deiner selbstverliebten Stadt. Ich bin ausgelaugt. Kein Medizinstudent wird vorher gewarnt, dass das Studium selbst eine Vielzahl der studierten Leiden auslösen kann. Ich hoffe, mich mit Schlaf, Wein und Deiner Gesellschaft kurieren zu können.
    Madame Morgensterns Anatomiebuch leistet mir weiterhin gute Dienste. Wegen dieser Gabe werde ich auf ewig in ihrer Schuld stehen. Doch sag ihr bitte, sie möge mir in Zukunft nicht mehr solche Geschenke machen! Wenn meine Freunde hier sehen, dass ich so ein edles Buch besitze, überschätzen sie meinen Reichtum und erwarten, dass ich ihnen das Essen bezahle. Unter diesen Umständen bin ich bald völlig ruiniert. Bis dahin verbleibe ich
    Dein bisher nur verarmter Bruder
    Tibor
    Andras nahm den Brief mit zu Klara und bat sie um Hilfe. Begleitet wurde er von François Ben Yakov; es war das erste Mal, dass er Klaras Bekanntschaft machte. Zu dem Anlass hatte er sich in ein Jackett aus feiner schwarzer Wolle gekleidet und eine rote Krawatte mit einem Muster aus gerstenkorngroßen Lilien umgebunden. Als Ben Yakov Klaras Hände in den seinen hielt, um ihren Beistand flehte und sie mit seinen dunklen Filmstaraugen ansah, fragte sich Andras, ob Klara wohl auch dem Zauber erliegen würde, den Ben Yakov auf jede Frau, die er kennenlernte, auszuüben schien. Sie war angetan genug, um ihn schließlich ihrer Hilfe zu versichern; sie erlaubte Ben Yakov, ihr die Hand zu küssen und sie einen Engel zu nennen. Als Ben Yakov ging und Andras und Klara allein zurückließ, lachte sie und sagte, nun könne sie verstehen, warum Andras’ Freund solche Unruhe bei den jungen Damen seines Bekanntenkreises auslöste.
    »Ich hoffe, du brennst nicht mit ihm durch, bevor die Braut eintrifft«, sagte Andras. Er zog ihr einen Stuhl an den Kamin, und sie setzten sich und schauten den Kohlen beim Abbrennen zu.
    »Nie im Leben«, sagte Klara und lächelte. Doch dann wurde ihre Miene ernster, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich teile allerdings die Vorbehalte deines Bruders. Es wäre schöner, wenn das Mädchen nicht davonlaufen müsste. War es für Ben Yakov wirklich nicht möglich, mit ihrem Vater zu sprechen?«
    »Würdest du deiner Tochter erlauben, François Ben Yakov zu heiraten? Besonders wenn du sie zu einer strenggläubigen Jüdin erzogen hast? Ich befürchte, mein Freund hatte leider recht, als er zu dem Schluss kam, dass sie es heimlich tun müssen.«
    Klara seufzte. »Was wird meine Tochter von mir denken?«
    »Sie wird denken, dass sie eine mitfühlende, verständnisvolle Mutter hat.«
    »Eine zu verständnisvolle Mutter«, sagte Klara. »Und Elisabet wird ihre Schlüsse daraus ziehen. Gott, Andras, dieses florentinische Mädchen ist wahrscheinlich ganz nervös. Sie möchte dem Schicksal entfliehen, das ihre Eltern für sie erwählt haben. Deshalb bildet sie sich ein, in deinen Freund verliebt zu sein. Sie muss sehr willensstark sein, wenn

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