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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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fühlte, doch Klara versicherte ihm, darum könne sie sich auch allein kümmern. Es gab nicht viel zu transportieren: Signorina di Sabato hatte außer der Hutschachtel nur einen kleinen Schrankkoffer und eine Holzkiste, und diese Dinge bildeten zusammen mit dem schicken Schirm ihr gesamtes Hab und Gut. Sie trugen alles an den Bordstein, und Ben Yakov winkte ein Taxi heran. Er hielt Signorina di Sabato die Tür auf; um ihr Schamgefühl nicht zu verletzen, ließ er Klara neben sie rutschen. Als Letztes duckte er sich mit einem Gruß an die anderen in den Wagen und zog die Tür zu.
    Rosen und Shalhevet blieben mit Andras und seinem Bruder auf dem Bürgersteig zurück. »Habt ihr Lust, etwas mit uns zu trinken?«, fragte Rosen.
    Tibor entschuldigte sich in seinem rudimentären Französisch, und Shalhevet und Rosen versicherten ihm, sie könnten seine Erschöpfung verstehen. Andras winkte ein zweites Taxi heran. Er hatte angenommen, sie könnten zu Fuß nach Hause gehen, doch Tibor machte den Eindruck, als würde er jeden Augenblick zu Boden sinken. Auf dem Weg zur Rue des Écoles war er still; über die Reise sagte er lediglich, sie sei lang gewesen und er wäre erleichtert, dass sie vorbei sei.
    Sie stiegen aus dem Taxi und brachten Tibors Sachen ins Haus. Als sie im obersten Stockwerk ankamen, ging Tibors Atem flach und stoßweise, er musste sich an der Wand abstützen. Schnell entriegelte Andras die Tür. Tibor ging hinein und legte sich aufs Bett, ohne Schuhe oder Mantel auszuziehen. Er verdeckte die Augen mit dem Arm.
    »Tibi«, sagte Andras. »Wie kann ich dir helfen? Soll ich zur Apotheke gehen? Möchtest du etwas trinken?«
    Tibor streifte die Schuhe ab und ließ sie zu Boden fallen. Er drehte sich auf die Seite und zog die Knie an die Brust. Andras ging zum Bett und beugte sich über seinen Bruder. Er fühlte Tibors Stirn: trocken und heiß. Tibor zog die Decke um sich und begann zu zittern.
    »Du bist krank«, sagte Andras, eine Hand auf der Schulter seines Bruders.
    »Ganz normaler Virus. Habe ich die ganze Woche schon kommen gefühlt. Ich brauche nur Ruhe.«
    Im nächsten Moment war Tibor bereits eingeschlafen. Und er wachte nicht einmal auf, als Andras ihm den Mantel auszog, ihn entkleidete und ein kaltes Tuch auf seine Stirn legte. Gegen Mitternacht brach das Fieber aus, Tibor schob die Decken fort; doch es dauerte nicht lange, bis er wieder zitterte. Er wachte auf und bat Andras, eine Schachtel Aspirin aus seinem Koffer zu holen. Andras gab ihm die Tabletten und deckte Tibor mit allen vorhandenen Decken und Mänteln zu. Irgendwann legte sich Tibor auf die Seite und fiel wieder in Schlaf. Andras rollte die Matratze aus, die er sich von der Concierge geliehen hatte, und legte sich neben dem Ofen auf den Boden. Aber er konnte nicht schlafen. Er ging im Zimmer auf und ab und schaute jede halbe Stunde nach seinem Bruder, bis dessen Stirn kälter wurde und er tiefer atmete. Dann legte er sich mit seiner Kleidung auf die geliehene Matratze; er wollte Tibor keine Decke fortnehmen.
    Am Morgen erwachte Tibor als Erster. Als Andras die Augen aufschlug, hatte sein Bruder bereits Tee gekocht und einige Scheiben Brot geröstet. Irgendwann in der Nacht musste er eine Decke über Andras gebreitet haben. Jetzt saß er in dem roten Samtsessel, sauber und glatt rasiert, trug Andras’ Morgenmantel und aß Baguette mit Marmelade. Ab und an schnäuzte er laut vernehmlich in ein Taschentuch.
    »Na«, sagte Andras von seiner Matratze auf dem Boden. »Du lebst ja noch.«
    »Komm mir aber besser nicht zu nahe. Ich habe immer noch Fieber.«
    »Zu spät. Ich habe mich die ganze Nacht um dich gekümmert.« Andras setzte sich auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, bis sie ihm vom Kopf abstanden.
    Tibor grinste. »Steht dir gut, Bruderherz.«
    »Danke, Bruderherz. Und wie geht es dir heute Morgen? Etwas besser?«
    »Besser als im Zug.« Tibor schaute in seine Teetasse. »Signorina di Sabato hält mich bestimmt für einen katastrophalen Reisebegleiter.«
    »Bei eurer Ankunft schien sie durchaus guter Laune zu sein.«
    »Es ging ihr nicht sehr gut, als wir Florenz verließen, aber im Großen und Ganzen war sie ziemlich tapfer.«
    »Kühn gemacht durch die Liebe«, bemerkte Andras.
    Tibor nickte und drehte die Tasse auf der Untertasse. »Sag mal«, begann er, »was für ein Mensch ist dieser Ben Yakov eigentlich?«
    »Du kennst ihn doch«, sagte Andras achselzuckend. »Er ist ein ganz anständiger Kerl.«
    »Etwas Besseres kannst

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