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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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wirklich frommen Juden stelle ich mir immer altmodisch und kurzsichtig vor. Wohl nur ein Beweis für meine Dummheit, denke ich.«
    »Und Ben Yakov? Ist er hier gewesen?«
    »Er hat den Schabbes größtenteils mit uns verbracht«, sagte Klara. »Er war furchtbar höflich und respektvoll, sogar ein bisschen eingeschüchtert. Heute Morgen brachte er den Rabbiner mit, damit er Ilana kennenlernte, und sie haben die ganze Hochzeit durchgesprochen. Anschließend bat er mich unter vier Augen, ihm zu sagen, ob sie irgendwie unglücklich wirke.«
    »Und was hast du gesagt?«
    Klara stellte Teetassen und Unterteller auf ein blaues Tablett. »Ich habe ihm gesagt, es ginge ihr gut, unter den gegebenen Umständen. Ich weiß, dass sie ihre Eltern vermisst. Sie zeigte mir ein Foto von ihnen und weinte. Aber ich glaube nicht, dass sie bereut, was sie getan hat.« Klara gab den Tee in ein Sieb und senkte es in die Kanne. »Elisabet war natürlich schwierig. Sie ist eifersüchtig. Ich habe Angst, dass sie jeden Moment davonläuft, um ihren Amerikaner zu heiraten. Aber heute Morgen sagte sie mir, sie wollte eine Torte backen, das ist ja schon was.« Klara schüttelte den Kopf und lächelte gequält. »Und was ist mit deinem Bruder? Geht es ihm gut? Ich habe mir Sorgen gemacht, als ihr gestern nicht kamt.«
    Andras überlegte, ehe er antwortete, fuhr mit der Hand über den Rand des Tabletts. »Er ist ausgelaugt und überarbeitet. Und er war krank, aber nicht allzu schlimm. Er hat fast die ganze Zeit geschlafen, und wenn er wach ist, verbraucht er all meine Taschentücher.« Andras hob den Blick zu Klara. »Er macht sich Sorgen um uns. Ich habe ihm gestern alles erzählt.«
    Sie senkte die Augen. »Bedauert er unsere Verlobung?«
    »O nein! Er bedauert, was du mitgemacht hast. Und es tut ihm leid, dass du nicht nach Hause zu deiner Familie kannst.« Andras strich über den Henkel einer der zerbrechlichen Tassen und bemerkte zum ersten Mal, dass das Muster von Klaras Porzellan fast identisch war mit dem vom Service ihrer Mutter. »Natürlich macht er sich Gedanken darüber, wie unsere Eltern diese Nachricht aufnehmen werden. Aber er hat nichts gegen unsere Verlobung. Er weiß, was ich für dich empfinde.«
    Klara legte die Arme um Andras und seufzte. »Ich wollte dir kein Unglück bringen.«
    »Hör sofort auf, so zu reden«, sagte Andras und küsste ihre bläulichen Augenlider.
    Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrten, erstellte Elisabet am Schreibtisch ihrer Mutter gerade eine Liste mit Backzutaten, während Tibor neben Signorina di Sabato auf dem Sofa saß und in schnellem Italienisch auf sie einredete. Er beugte sich zu ihr vor, die Augen fest auf ihre gerichtet, die Hände zitternd auf den Knien. Signorina di Sabato schüttelte den Kopf und schüttelte ihn abermals mit Nachdruck, dann senkte sie den Blick auf ihre Näharbeit. Schließlich steckte sie die Nadel in die elfenbeinfarbene Seide und schaute mit einem gewissen Entsetzen zu Tibor auf.
    »Mi dispiace«, sagte sie. »Mi dispiace molto.«
    Tibor lehnte sich zurück und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Er warf einen kurzen Blick auf das Tablett mit dem Tee, schaute zur Uhr auf dem Kaminsims und schließlich zu Andras hinüber. »Wann wirst du im Atelier erwartet?«, fragte er.
    Andras wurde zu keiner bestimmten Zeit dort erwartet, und das wusste Tibor; es war Sonntag, Andras wollte nur hin, weil er an seinem Projekt arbeiten musste. Doch Tibor starrte ihn so eindringlich an, dass Andras sagte: »In einer halben Stunde, Polaner wird schon warten.«
    »Eine halbe Stunde!«, rief Klara. »Das hättest du mir sagen sollen. Jetzt ist keine Zeit mehr für den Tee.«
    »Ja, wir müssen los, tut mir leid«, sagte Tibor. Er dankte Klara für ihre Freundlichkeit und gab der Hoffnung Ausdruck, sie bald wiederzusehen. Als sie im Flur ihre Mäntel anzogen, fragte sich Andras, ob Signorina di Sabato sie ohne ein Wort des Abschieds gehen lassen würde. Doch kurz bevor sie nach unten stiegen, erschien sie im Flur mit einer Hand auf der Brust, als versuche sie, ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie entbot Tibor einige Sätze in einem so warmen, inständigen Italienisch, dass Andras meinte, sie würde jeden Moment in Tränen ausbrechen. Tibor antwortete etwas Unverständliches und ging die Treppe hinunter.
    »Was war das denn?«, fragte Andras, als sie auf der Straße waren. »Was hat sie gesagt?«
    »Sie hat sich für das Buch bedankt«, erwiderte Tibor und weigerte sich auf dem Weg zur

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