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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Aortenklappe.« Erneut hustete er. »Ach, bring mich wieder ins Bett und lass mich schlafen. Und wenn ich aufwache, will ich keine schlechten Nachrichten mehr hören.«
    Als es Tibor am nächsten Tag gut genug ging, um sich nach draußen zu wagen, schlug er vor, Signorina di Sabato einen Besuch abzustatten – um sich zu vergewissern, dass sie gut untergekommen sei, sagte er, und um ein Buch zurückzubringen, das er sich im Zug von ihr geliehen hatte: eine wunderschöne alte Ausgabe der Divina Commedia mit einem Einband aus geprägtem Leder. Als Andras sich erstaunt zeigte, dass Signorina di Sabato Dante las, versicherte ihm Tibor, sie sei belesener als jedes andere Mädchen, das er kenne. Seit ihrem zwölften Lebensjahr habe sie heimlich Bücher aus einer Bibliothek unweit ihres Elternhauses im jüdischen Viertel entliehen. Die Divina Commedia stamme aus dieser Bibliothek; Tibor zeigte Andras den Stempel auf dem Vorsatzpapier. Ilana hatte das Buch nicht stehlen wollen, doch beim Packen wurde ihr klar, dass ihre Eltern von dem heimlichen Verkehr mit der Bücherei erfahren würden, wenn sie das Buch fänden. Das hatte sie Tibor im Zug erzählt und dabei traurig über sich selbst gelacht: Da lief sie fort nach Paris, um zu heiraten, und ihre einzige Sorge war, dass ihre Eltern Anstoß nehmen könnten, weil sie weltliche Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen hatte.
    Als sie bei Klara ankamen, säumte Signorina di Sabato gerade ein elfenbeinfarbenes Seidenkleid, das sie zur Hochzeit tragen wollte. Klara saß neben ihr auf dem Sofa und nähte eine edle muschelförmige Spitzenbordüre an den Rand eines Schleiers. Elisabet, die sich normalerweise nicht für das interessierte, was andere machten, brütete über einem Buch mit ausgefallenen Torten; sie musterte Tibor mit verhaltener Neugier und winkte ihm von ihrem Sessel aus zu. Doch Ilana di Sabato sprang sofort auf, als sie ihn erblickte, und das elfenbeinfarbene Kleid rutschte von ihrem Schoß auf den Boden.
    »Ah, Tibor!«, sagte sie, und es folgten ein paar schnelle Worte auf Italienisch. Sie zeigte auf das ausgeliehene Buch und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.
    »Du hast das Buch mitgebracht«, sagte Klara. »Sie hat mir erzählt, dass sie es dir geliehen hat. So viel habe ich gerade noch verstanden. Wir kommen zurecht mit meinen paar Brocken Italienisch und ihrem bisschen Französisch.«
    »Und was hält Signorina di Sabato von Paris?«, fragte Andras.
    »Es gefällt ihr wirklich sehr«, erwiderte Klara. »Wir sind heute Morgen in den Tuileries spazieren gegangen.«
    »Ich bin mir sicher, sie findet es grässlich«, sagte Elisabet, ohne den Blick von ihrem Backbuch zu heben. »So kalt und düster. Sie sehnt sich bestimmt schon nach Florenz zurück.«
    Signorina di Sabato sah Elisabet fragend an. Tibor übersetzte, und Signorina di Sabato schüttelte den Kopf und gab eine eindringliche Antwort.
    »Sie findet es ganz und gar nicht schrecklich«, sagte Tibor.
    »Das kommt noch, bald«, gab Elisabet zurück. »Im Dezember ist es besonders bedrückend hier.«
    Klara legte den Hochzeitsschleier zur Seite und erklärte, sie würde gerne einen Tee trinken. »Könntest du mir mit dem Tablett helfen?«, fragte sie Andras. Er folgte ihr in die Küche, wo ein Stapel Kochbücher aufgeschlagen auf dem Tisch lag.
    Andras strich über eine Seite mit der Zeichnung eines ganzen Fisches, belegt mit dünnen Zitronenscheiben. »Und wann soll die Hochzeit sein?«, fragte er.
    »Nächsten Sonntag«, antwortete Klara. »Ben Yakov hat es mit dem Rabbiner so abgesprochen. Seine Eltern kommen mit dem Zug aus Rouen. Anschließend gibt es hier Mittagessen.«
    »Klárika«, sagte Andras, umfasste ihre Taille und drehte sie zu sich um. »Niemand hat von dir erwartet, dass du ein Hochzeitsessen organisierst.«
    Sie legte die Arme um seinen Hals. »Irgendeine Feier muss es doch geben.«
    »Aber das ist zu viel. Du hast die Aufführung, um die du dich kümmern musst.«
    »Ich möchte es aber«, sagte sie. »Vielleicht habe ich die Situation etwas vorschnell bewertet, als wir darüber sprachen. Dein Freund scheint doch eine ernsthafte Vorstellung von Liebe zu haben. Und ich habe mir Signorina di Sabato wohl etwas anders vorgestellt.«
    »Inwiefern anders?«
    »Vielleicht nicht so selbstsicher. Nicht so reif. Eventuell auch nicht so intelligent, was dir nur beweisen sollte, wie engstirnig ich geworden bin. Ich halte mich mit meiner gemäßigten Frömmigkeit für eine anständige Jüdin, aber die

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