Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
Hochzeit war er schwärzester Laune gewesen, hatte sein Schnürband verflucht, als es riss, über das eiskalte Wasser im Waschbecken gewettert und Andras fast angeschrien, als der ihn nach der Trauung zu Klaras Haus drängte. Doch die Verarztung des kleinen Mädchens wirkte beruhigend auf ihn; als er bei dem von der Kleinen erfundenen Spiel mitmachte, war er wieder mehr er selbst.
»Passoire«, sagte das Mädchen und zeigte auf ein Sieb.
»Szűrő edény«, sagte Tibor auf Ungarisch.
»Ha, und was ist mit spatule?«
»Spachtli.«
»Spachtli! Und was ist mit couteau?« Das kleine Mädchen nahm ein gefährlich aussehendes Tranchiermesser vom Tisch und hielt es Tibor zur Benennung hin.
»Kés«, sagte er. »Aber das gibst du besser mir.« Er nahm es der Kleinen ab und wollte es weglegen; in ebendiesem Moment erschien die frisch gebackene Madame Ben Yakov in der Tür, die Wangen stark gerötet. Ein Nebel schwarzer Locken hatte sich aus ihren aufgerollten Zöpfen gelöst. Das Messer schwebte in Tibors Hand, nur Zentimeter von den elfenbeinfarbenen Knöpfen ihres Kleids entfernt. Wäre sie in den Raum gestürzt, hätte es sie durchbohrt.
»Ah!«, rief sie und machte einen kleinen Schritt zurück.
Ihre Blicke trafen sich, und beide mussten lachen.
»Pass auf, dass du nicht die Braut umbringst, Bruderherz«, sagte Andras.
Vorsichtig legte Tibor das Messer auf die Arbeitsfläche, als traue er sich selbst nicht über den Weg.
Das kleine Mädchen spürte das Unbehagliche der Situation und schaute mit unverhohlener Neugier zu den Erwachsenen auf. Als niemand etwas sagte, begann es selbst ein Gespräch.
»Ich habe mir am Knie wehgetan«, erklärte es der Braut und zeigte ihr den Verband. »Dieser Mann hat es wieder gutgemacht.«
Madame Ben Yakov nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, und beugte sich über den Verband, um ihn genauer zu betrachten. Das kleine Mädchen drehte sein Knie nach rechts und links. Als die Musterung vorbei war, sprang es vom Stuhl und zupfte seine Samtröcke zurecht. Demonstrativ vorsichtig humpelte die Kleine aus dem Zimmer.
Madame Ben Yakov schenkte Tibor ein flüchtiges Lächeln. »Ché buon medico siete«, sagte sie. Sie schob sich an ihm vorbei und drehte den Wasserhahn über dem Porzellanbecken auf, wo sie das Ritual der Handwaschung vollführte. Tibor beobachtete jede ihrer Bewegungen: wie sie den Becher füllte, ihren neuen Ehering abstreifte, das Wasser dreimal über ihre rechte Hand und dreimal über die linke goss.
Nach dem Essen wurde unten im Ballettstudio getanzt. Nach orthodoxer Tradition blieben die Männer auf der einen Seite des Raumes, die Frauen auf der anderen, vor den gegenseitigen Blicken durch eine spanische Wand geschützt. Hin und wieder erhaschten die Männer einen Blick auf den fliegenden Saum eines Kleides oder ein blitzendes Haarband; ab und an rutschte der Satinschuh einer Frau unter der Wand hindurch und erzählte den Männern von einem nackten Frauenfuß. Die Frauen lachten hinter der Trennwand, ihre Füße pochten schnelle rhythmische Schritte auf die Tanzfläche. Die Männer auf der anderen Seite waren unbeholfener miteinander. Keiner wollte tanzen. Erst als Rosen einen Flachmann mit Whisky aus seiner Tasche zauberte und die feurige Flüssigkeit zweimal herumgehen ließ, fingen sie an, sich im Takt der Musik zu bewegen. Ben Yakov und Rosen hakten sich unter und schoben sich gegenseitig nach rechts und links. Sie hielten sich an den Händen und begannen sich zu drehen, bis sie das Gleichgewicht verloren. Rosen fasste an Andras’ Schulter, der an die von Polaner, Polaner hängte sich an Ben Yakov und der wiederum an seinen Vater, und bald folgten alle Männer einander in einem spontanen Kreis. Ben Yakov und sein Vater lösten sich von den anderen, packten sich an den Schultern und tanzten in die Mitte des Rings. Sie warfen die Fersen zur Decke, bis ihre Hemdschöße flatterten und ihr pomadisiertes Haar in dicken Strähen auf und ab hüpfte. Nur Tibor stand mit dem Rücken an der Übungsstange und sah zu.
Schließlich kam der Augenblick, da Madame und Monsieur Ben Yakov auf Stühle gehoben und im Raum herumgetragen werden sollten. Die Frauen kamen hinter der Trennwand hervor; der Anblick von Klara mit offenem Haar und am Brustbein verschwitzten Kleid verschlug Andras beinahe den Atem. Im ersten Moment erschien es ihm ungerecht, dass dies nicht seine Hochzeit war, sondern die eines anderen. Dann fing Klara seinen Blick auf und lächelte, schien zu
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