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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Tee serviert wurde, kümmerte er sich selbst um Andras’ Tasse und reichte sie ihm über den Tisch.
    »Wie kann ich dir helfen?«, fragte er. »Was führt dich zu mir?«
    »Mein Bruder Mátyás ist an die Ostfront versetzt worden«, sagte Andras. »Seine Kompanie ist heute Nachmittag aufgebrochen, um in Debrecen zum restlichen Bataillon zu stoßen. Von da fahren sie weiter nach Belgorod.«
    Hász stellte seine Tasse ab und sah Andras an. »Belgorod«, sagte er. »Die Minenfelder.«
    »Ja. Sie machen den Weg frei für die ungarische Armee.«
    »Aber was kann ich da tun?«, fragte Hász. »Wie kann ich ihm helfen?«
    »Ich weiß, dass du schon sehr viel für uns getan hast«, sagte Andras. »Du hast dich um Klara gekümmert, während ich fort war. Das ist der beste Dienst, den du mir erweisen kannst. Glaub mir, ich würde dich niemals um etwas bitten, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass es um Leben und Tod ginge. Meine Frage ist, ob es möglich wäre, dass du für Mátyás tust, was du auch schon für József getan hast. Wenn er schon nicht freigestellt werden kann, dann könntest du vielleicht dafür sorgen, dass er wenigstens in eine andere Kompanie versetzt wird. Eine, die nicht so nah an der Front ist. Er hat noch elf Monate.«
    György Hász hob eine Augenbraue und lehnte sich im Sessel zurück. »Du möchtest, dass ich ihm die Freiheit erkaufe«, sagte er.
    »Zumindest die Freiheit, nicht an die Front zu müssen.«
    »Verstehe.« György bildete mit seinen Händen ein Dach und schaute Andras über den Schreibtisch hinweg an.
    »Ich weiß, dass nicht jeder denselben Preis hat«, sagte Andras. Er stellte seine Tasse auf den Unterteller und drehte sie gedankenverloren. »Ich könnte mir vorstellen, dass mein Bruder einen deutlich geringeren Wert hat als dein Sohn. Ich habe den Namen von Mátyás’ Bataillonskommandeur. Wenn wir dafür sorgen könnten, dass durch einen unabhängigen Dritten – einen dir bekannten Anwalt, sagen wir mal – eine gewisse Summe überwiesen wird, könnte das Ganze über die Bühne gehen, ohne dass die Behörden auf die Verbindung zwischen deiner und meiner Familie aufmerksam würden, also ohne Klaras Sicherheit zu gefährden. Ich bin überzeugt, dass wir meinem Bruder die Freiheit für eine in deinen Augen unwesentliche Summe erkaufen können.«
    Hász presste die Lippen aufeinander und stellte die zusammengelegten Hände davor, dann klopfte er mit den Fingern gegeneinander und schaute zum Kamin hinüber. Andras wartete auf die Antwort, als sei György ein Richter und Mátyás der Angeklagte. Aber Mátyás war natürlich nicht hier; er saß bereits in einem Zug in Richtung Ostfront. Plötzlich erschien Andras die Vorstellung abwegig, dass György Hász die Macht haben sollte, aufzuhalten, was bereits in Gang gesetzt worden war.
    »Weiß Klara, dass du hier bist?«, fragte Hász.
    »Nein«, erwiderte Andras. »Obwohl sie mich nicht davon abgehalten hätte. Sie ist überzeugt, dass du uns in allen Belangen helfen würdest. Meistens bin ich derjenige, der zu stolz ist, um zu fragen.«
    György Hász stemmte sich aus dem Ledersessel hoch und ging zum Kamin. Die sanfte Wärme des Vortags war über Nacht verweht worden; ein scharfer Wind rüttelte an den Flügelfenstern. Hász lockerte die Scheite mit dem Schürhaken, und ein Funkenschauer stieg in den Kamin hoch. Dann legte er das Besteck zurück und drehte sich zu Andras um.
    »Ich muss mich entschuldigen, bevor ich weiterspreche«, sagte er. »Ich hoffe, du wirst die Entscheidung verstehen, die ich getroffen habe.«
    »Wofür entschuldigen?«, fragte Andras. »Was für eine Entscheidung?«
    »Seit einiger Zeit trage ich eine ziemlich schwere finanzielle und emotionale Last«, sagte er. »Sie ist völlig unabhängig von der Situation meines Sohnes, und sie wird leider noch längere Zeit fortdauern. Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, was für ein Ende es nehmen wird. Ich habe mit dir nicht darüber gesprochen, weil ich wusste, dass es dir in einer Zeit, wo das Überleben dein größtes Anliegen ist, zusätzlich Sorgen bereiten würde. Aber ich werde es dir jetzt erzählen. Du hast mich um etwas sehr Schwerwiegendes gebeten, und ich kann dir unmöglich eine Antwort geben, ohne dir meine Lage klarzumachen. Unsere Lage, sollte ich sagen.« Er setzte sich wieder Andras gegenüber und zog seinen Sessel näher an den Tisch. »Es betrifft jemanden, der uns beiden lieb ist«, sagte er. »Ich meine natürlich Klara. Es geht um ihr

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