Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
auf der Benczúr utca, der jetzt höchstwahrscheinlich in einem Kaschmirmantel am Kamin saß und in einer seiner Finanzzeitungen blätterte. Am liebsten hätte er Hász genommen, ihn auf den Kopf gestellt und so lange geschüttelt, bis es Goldstücke regnete wie aus einer zerbrochenen Spardose. Ihm war kein Grund ersichtlich, warum der Sohn dieses Mannes ein Maleratelier und Monate voller Muße vor sich haben sollte, während Mátyás Lévi, der Sohn von Glücks-Béla aus Konyár, an die Ostfront geschickt wurde und dort sein Glück auf den Minenfelden versuchen sollte. Er, Andras, wäre ein Narr, nein, schlimmer noch als ein Narr, wenn er sich von seinem Stolz davon abhalten ließ, hilfesuchend an Györgys Tür zu klopfen. Hier ging es nicht darum, ob Andras Frau und Kind ernähren konnte; Mátyás’ Leben stand auf dem Spiel.
»Ich werde Hász einen Besuch abstatten«, erklärte Andras. »Die müssen noch irgendwo eine Truhe mit Kronen versteckt haben oder sonst irgendwas, das sie verkaufen können.«
Mátyás nickte. »Ich nehme an, dass József Hász nicht zur Front muss.«
»Allerdings nicht. József Hász hat sich ein hübsches Atelier in Buda genommen.«
»Genau zur rechten Zeit«, sagte Mátyás. »Der Untergang der westlichen Welt gibt bestimmt ein interessantes Sujet ab.«
»Ja. Obwohl ich mich sonderbarerweise nicht bemüßigt gefühlt habe, ihn zu besuchen und die Fortschritte seiner Arbeit zu begutachten.«
»Das ist wirklich verwunderlich.«
»Jetzt aber mal im Ernst: Ich weiß nicht genau, ob Hász über so viel Bargeld verfügt. Ich glaube, sie schaffen es so gerade, das Haus auf der Benczúr utca, Madames Pelze und die Opernloge zu halten. Sie mussten ihr Auto verkaufen, um József von seiner zweiten Einberufung freizustellen.«
»Immerhin haben sie noch die Opernloge«, sagte Mátyás. »Musik kann so tröstlich sein, wenn um einen herum die Leute sterben.« Er zwinkerte Andras zu, hob sein Glas und leerte es.
Nachdem Andras am nächsten Tag seinen Bruder zum Nyugati-Bahnhof gebracht hatte, besuchte er György Hász zu Hause. Er wusste, dass Hász jeden Tag mittags heimkam, um mit seiner Frau und seiner Mutter zu speisen, und anschließend gerne eine halbe Stunde mit der Zeitung verbrachte, bevor er zurück ins Büro ging. Selbst in unsicheren Zeiten war er ein Mann von regelmäßigen Gewohnheiten. Ungeachtet seiner veränderten beruflichen Umstände hatte er den vornehmen Tagesablauf eines Bankdirektors beibehalten; seine Dienste waren zu wertvoll für seinen Nachfolger, als dass der ihn davon abgehalten hätte, sich diese Freiheit zu nehmen. Wie Andras erwartet hatte, traf er seinen Schwager in der Bibliothek des Hauses auf der Benczúr utca an, die Lesebrille auf der Nase, die Zeitung schmetterlingsgleich in den Händen aufgeschlagen. Als der Diener Andras’ Besuch ankündigte, ließ Hász die Zeitung sinken und stand auf.
»Ist alles in Ordnung mit Klara?«, fragte er.
»Alles gut«, sagte Andras. »Uns geht es beiden gut.«
Hász’ Stirn entspannte sich, er seufzte tief. »Entschuldige«, sagte er. »Ich habe nicht mit dir gerechnet. Ich wusste nicht, dass du in der Stadt bist.«
»Ich habe ein paar Tage Heimaturlaub. Morgen muss ich wieder los.«
»Setz dich doch!«, sagte Hász. Und an den Mann gewandt, der Andras hereingeführt hatte: »Sagen Sie Kati, sie soll uns Tee machen.« Schweigend verschwand der Diener, und György Hász musterte Andras langsam und gründlich. Andras hatte sich entschlossen, seine Munkaszolgálat-Uniform anzuziehen, die mit dem grünen M auf der Brusttasche und den Flicken, wo Major Barna seine Rangabzeichen abgeschnitten hatte. Hász warf einen Blick auf Andras’ Uniform und griff sich unbewusst an die Krawatte aus blauer Seide mit einem schmalen crèmefarbenen Streifen. »Nun«, sagte er, »du hast nur noch drei Monate vor dir, wenn ich richtig rechne.«
»Stimmt«, sagte Andras. »Und dann kommt das Kind.«
»Und dir geht es gut? Du siehst gesund aus.«
»So gesund, wie man erwarten kann.«
Hász nickte, setzte sich wieder in den Sessel und verschränkte die Finger vor seiner Weste. Zu der blauen Seidenkrawatte trug er ein italienisches Popelinehemd und einen Anzug aus dunkelgrauer Schurwolle. Seine Hände waren die weichen Hände eines Mannes, der immer nur im Haus gearbeitet hatte, seine Fingernägel rosa und glatt. Doch er betrachtete Andras mit solch aufrichtiger, argloser Sorge, dass es unmöglich war, ihn völlig zu verachten. Als der
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