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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Gefahr ist?«
    »Fürs Erste wird sie offenbar durch die Zahlungen geschützt. Wir können nur hoffen, dass die Behörden das Interesse verlieren, bevor mein Vermögen erschöpft ist. Wenn der Krieg nach Ungarn kommt, werden sie dringendere Sorgen haben. Was unsere bisherige Strategie angeht – also die Fluchtentscheidung von damals –, können wir aktuell nichts unternehmen. Nicht in Klaras jetzigem Zustand. Außerdem ist es ohnehin unmöglich, Einreisevisa für die Länder zu bekommen, in denen sie in Sicherheit wäre. Wir müssen durchhalten, anders geht es nicht.«
    »Klara ist eine intelligente Frau«, sagte Andras. »Vielleicht wüsste sie einen Ausweg, den wir übersehen?«
    »Ich bewundere die Intelligenz meiner Schwester aufs Höchste«, sagte Hász. »Sie hat sich unter widrigen Umständen wacker geschlagen. Aber ich möchte nicht, dass diese Sorgen sie niederdrücken. Ich möchte, dass sie sich so lange wie möglich sicher fühlt.«
    »Ich auch«, sagte Andras. »Aber wie du schon sagtest, ich bin es nicht gewohnt, vor meiner Frau Geheimnisse zu haben.«
    »Du musst mir versprechen, nicht mit ihr darüber zu reden. Es gefällt mir nicht, dir diese Unehrlichkeit abzuverlangen, aber in dieser Situation habe ich meiner Ansicht nach keine andere Wahl.«
    »Du willst sagen, ich habe keine andere Wahl.«
    »Versteh mich doch, Andras! Wir haben schon sehr viel in Klaras Sicherheit investiert. Wenn du es ihr jetzt erzählen würdest, könnte das alles umsonst gewesen sein.«
    »Und wenn es der Wunsch meiner Frau wäre, ihre Familie nicht in den Ruin zu stürzen?«
    »Was sollen wir denn tun? Wäre es dir vielleicht lieber, wenn Klara sich stellt? Oder dass sie ihr eigenes Leben und das ihres Kindes bei einem Fluchtversuch aufs Spiel setzt?« Er sprang auf und begann, vor dem Kamin auf und ab zu gehen. »Ich kann dir versichern, ich habe das Problem aus allen Blickwinkeln betrachtet. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich bitte dich, meinen Entschluss zu akzeptieren, Andras. Du musst mir glauben, dass auch ich ein wenig Einblick in Klaras Charakter habe.«
    Obwohl es ihm immer noch wie Verrat vorkam, erklärte Andras sich einverstanden, Stillschweigen zu bewahren. Er hatte gar keine andere Wahl; er verfügte über keinerlei Geld, über keinerlei Beziehungen, keine Möglichkeit, zwischen Klara und das Gesetz zu treten. Und er musste am nächsten Morgen nach Bánhida zurück. Zumindest würde die derzeitige Regelung Klara während seiner Abwesenheit schützen. Er dankte Hász für sein Versprechen, sich für Mátyás einzusetzen, so weit es in seiner Macht stände, und sie trennten sich mit einem Handschlag und einem ernsten Blick, der besagte, dass sie diese Schwierigkeiten mit dem Gleichmut ungarischer Männer meistern würden. Doch als Andras das Haus auf der Benczúr utca verließ, traf ihn die Neuigkeit abermals mit all ihrer ursprünglichen Wucht. Er hatte das Gefühl, als ginge er durch eine andere Stadt, die die ganze Zeit direkt hinter der ihm bekannten verborgen gewesen war; das Gefühl rief ihm Monsieur Forestiers Bühnenbilder in Erinnerung, jene palimpsestartige Architektur, in der das Vertraute das Fremde und Erschütternde verbarg. In dieser verworrenen Realität war das Geheimnis um Klaras Identität ein Wissen geworden, das vor ihr statt von ihr geheim gehalten wurde.
    Andras dachte, es würde seine Nerven beruhigen, wenn er zum Fluss ginge und sich auf die Kettenbrücke stellte. Er brauchte Zeit, um die Situation für sich abzuklären, bevor er heim zu Klara ging. Er fragte sich, wie lange es nach seiner Einberufung zum Arbeitsdienst gedauert hatte, bis Madame Novak zu den Behörden gegangen war. War es lediglich die Erinnerung an vergangene Kränkungen, die sie dorthin getrieben hatte, oder hatte es frische Wunden gegeben? Was wusste Andras tatsächlich über die gegenwärtige Situation zwischen Klara und Novak? War es möglich, dass Andras trotz Györgys Beteuerungen betrogen wurde? Übelkeit stieg in ihm auf, er musste am Bordstein innehalten und sich setzen. Ein Straßenköter schnüffelte an seinen Knöcheln; als er die Hand nach dem Hund ausstreckte, zuckte der zurück und lief davon. Andras stand auf, zog den Mantel enger und band sich sein Halstuch. Von der Benczúr utca ging er zur Bajza utca und von der Bajza zur baumgesäumten Andrássy út, wo sich die Fußgänger gegen den eisigen Wind duckten und die Straßenbahn ihre vertraute Glocke erklingen ließ. Doch als er die Andrássy

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