Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
bezahlter Knechtschaft hatte. Es war das verwegene Glück seiner letzten Monate in Paris, das diese Einstellung bei ihm begünstigt hatte, es war die Freundlichkeit seiner Professoren und Mentoren, die ihn auf mehr hatte hoffen lassen. Aber das war nun vorbei. Er musste Geld verdienen. In wenigen Monaten würde er Vater sein.
»Entschuldige«, sagte Andras. »Ich wollte damit nicht sagen, dass deine Arbeit keine Kunst ist. Es ist auf jeden Fall eine höhere Kunst, als Zeitungen zu illustrieren.«
Mátyás’ Blick wurde weicher, und er legte seinem Bruder eine Hand auf den Arm. »Schon gut«, sagte er. »Ich würde vielleicht auch denken, dass ich zu gut zum Dekorieren bin, wenn ich mit Le Corbusier und Auguste Perret regelmäßig einen trinken gegangen wäre.«
»Wir haben nie was zusammen getrunken«, sagte Andras.
»Jetzt werd nicht auf einmal bescheiden.«
»Stimmt, du hast recht. Wir waren die dicksten Kumpel. Waren ständig zusammen aus.« Andras verstummte, dachte an seine lieben Freunde, die über die westliche Halbkugel verstreut waren. Auch diese Männer waren seine Brüder. Doch seit dem versöhnenden Telegramm hatte er nichts mehr von Ben Yakov gehört, genauso wenig wie von Polaner, seit er in die Fremdenlegion eingetreten war. Andras fragte sich, was wohl mit der Fotografie von Polaner und ihm mit dem Prix du Amphithéâtre geschehen war. Es war eine sonderbare Vorstellung, dass sie noch irgendwo existieren konnte, jenes Dokument eines vergangenen Lebens.
»Du siehst ernst aus, Bruderherz«, sagte Mátyás. »Müssen wir ein bisschen Wein in dich schütten?«
»Kann nicht schaden«, sagte Andras.
So gingen sie zum Café am See, setzten sich draußen an einen Tisch und bestellten eine Flasche Tokajer. Wegen des Kriegs war Wein teuer geworden, doch Mátyás bestand auf dem Luxus und ließ es sich außerdem nicht nehmen, ihn auch zu bezahlen, da er keine Frau und nicht bald ein Kind zu unterhalten habe. Er versprach, dass Andras das nächste Mal die Rechnung begleichen dürfe, sobald er eine Stelle bei einer Zeitung ergattert hatte, obwohl natürlich keiner von beiden wusste, wann das der Fall sein würde. Sie wussten ja nicht mal, wann sie wieder beide zur gleichen Zeit daheim sein würden.
»Und, wer ist jetzt diese Serafina?«, fragte Andras und schaute seinen Bruder durch die bernsteingelbe Linse des Weinglases an. »Und wann werden wir sie kennenlernen?«
»Sie ist Näherin in einem Bekleidungsgeschäft auf der Váci utca.«
»Und?«
» Und , ich habe sie kennengelernt, als ich dort ein Fenster machte. Sie trug ein weißes, mit Kirschen besticktes Kleid. Ich bat sie, es auszuziehen, damit ich es ins Schaufenster stellen konnte.«
»Du hast sie gebeten, ihr Kleid auszuziehen?«
»Siehst du jetzt ein, warum das ein interessanter Beruf sein kann?«
»Ist sie nackt zu ihrer Nähmaschine zurückgegangen?«
»Nein. Leider hatte der Schneider für sie etwas anderes zum Anziehen da.«
»Na, das ist aber schade.«
»Eben. Seitdem reizt mich die Sache. Aus dem Grund beschloss ich, ihr den Hof zu machen. Ich wollte sehen, was ich verpasst hatte, als sie hinter dem Vorhang vom Umkleideraum verschwand.«
»Du musst genug gesehen habe, um zu wissen, dass es sich bei ihr lohnt.«
»Auf jeden Fall. Sie ist ganz nach meinem Geschmack. Ein kleines bisschen größer als ich, schwarzes Haar, wie eine eng anliegende Mütze geschnitten. Und einen Leberfleck auf der Wange wie ein kleiner Tintenklecks.«
»Na, ich kann es gar nicht erwarten, ihre Bekanntschaft zu machen.«
Wieder verschwand das heitere Glitzern aus Mátyás’ Augen; die Schatten darunter schienen nachzudunkeln, als er in sein Weinglas schaute. »Morgen muss ich zurück zu meiner Kompanie«, sagte er. »Wir ziehen los zur großen Sause.«
»Was für eine große Sause?«
»Belgorod, Russland. An die Front.«
Hinter Andras’ Rippen schepperte es furchtbar, als hätte jemand mit einem Eisenhammer gegen die Glocke seines Brustkorbs geschlagen. »Oh, Mátyás. Nein.«
»Doch«, sagte Mátyás. Grinsend schaute er auf, doch sein Gesicht war angsterfüllt. »Du siehst, es ist gut, dass wir uns über den Weg gelaufen sind.«
»Kannst du dich nicht versetzen lassen? Hast du das versucht?«
»Das läuft nur über Geld, und ich habe nicht genug, um an jeder Ecke einen zu schmieren.«
»Wie viel würdest du brauchen?«
»Ach, weiß nicht. Momentan wohl Hunderte. Vielleicht Tausende.«
Andras dachte wieder an György Hász in seiner Villa
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