Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
nichts: ein winziger Protestakt, eine einzige sperrige Einheit im gewaltigen Räderwerk des Arbeitsdienstes. Als sie Frigyes Eppler beim Journal eine Woche später die Neuigkeit überbrachten, klopfte er ihnen auf die Schulter, bot ihnen in seinem Büro Roggenschnaps an und ließ sich die ganze Sache als sein Verdienst anrechnen.
Sonntags, wenn Andras nicht nach Szentendre musste, ging er mit Klara zum Mittagessen ins Haus auf der Benczúr utca, in dem mittlerweile nur noch die unentbehrlichsten Möbel standen. Wenn sie im Garten an einem mit weißem Leinentuch gedeckten langen Tisch saßen, hatte Andras das Gefühl, in einer völlig anderen Welt zu sein. Es wollte ihm nicht in den Kopf, wie es möglich sein konnte, dass er den Samstag damit verbracht hatte, Mehlsäcke und Waffenkisten in Güterwaggons zu laden, und am Sonntag süßen Tokajer trank zu Filets von balatoni fogas in Zitronensauce. Manchmal tauchte József Hász bei diesen sonntäglichen Familienmahlzeiten auf, oft zusammen mit seiner neuen Freundin, der feingliedrigen Tochter eines Immobilientycoons. Sie hieß Zsófia. Die beiden waren seit ihrer Kindheit befreundet, waren Spielkameraden am Plattensee gewesen, wo ihre Familien benachbarte Ferienhäuser besessen hatten. Die beiden hockten oft auf einer Bank in einer Ecke des Gartens, steckten die Köpfe in vertrauter Unterhaltung zusammen und rauchten schmale dunkle Zigaretten. György Hász hasste Zigaretten. Er hätte József zum Rauchen auf die Straße geschickt, wenn er nicht in Begleitung des Mädchens gewesen wäre. Stattdessen tat er so, als seien die beiden Luft. Es war eine der vielen Täuschungen, die die Nachmittage in der Benczúr utca so kompliziert machten. Manchmal war es schwierig, keine dieser Selbsttäuschungen zu vergessen, so zahlreich waren sie. Man musste so tun, als ob Andras nicht den Rest der Woche Güterwaggons in Szentendre belud, während József in seinem Atelier in Buda malte; man musste so tun, als ob Klaras langes Exil in Frankreich gar nicht stattgefunden hatte; des Weiteren tat man so, als sei sie jetzt in Sicherheit, und der Zweck des allmählichen, aber kontinuierlichen Verschwindens von Gemälden, Teppichen und Kunstobjekten aus Familienbesitz, des Schmucks der jungen Frau Hász, der Kündigung fast aller Bediensteter bis auf die unverzichtbarsten, der Grund für die Abgabe des Autos und seines Chauffeurs, des Klaviers samt vergoldetem Hocker, der alten, unschätzbar wertvollen Bücher und der Möbel mit Intarsienarbeiten, der Grund für all das sei nicht, Klara vor den Klauen der Behörden zu retten, sondern József vor dem Munkaszolgálat.
Es war ein Zeugnis für Józsefs Egoismus, dass er glaubte, die Opfer seiner Familie wert zu sein. Er selbst lebte in unvermindertem Luxus: In seiner großen, hellen Wohnung in Buda wohnte er inmitten von Sammlerstücken aus dem Elternhaus: edle Teppiche, Möbel und Kristall, die er mitgenommen hatte, bevor der beharrliche Aderlass begann. Andras hatte die Wohnung einmal gesehen, ein paar Monate nach der Geburt des Kleinen, als sie József abends einen Besuch abgestattet hatten. József hatte ihnen ein Essen vorgesetzt, das er bei Gundel bestellt hatte, dem berühmten alten Restaurant im Stadtwäldchen; er hatte das Kind auf den Knien gehabt, während Andras und Klara gebratenes Wildhuhn, weißen Spargelsalat und eine Pilztarte vertilgten. Er lobte die Kopfform und die Hände seines kleinen Cousins und verkündete, er sehe genau aus wie seine Mutter. Józsefs Verhalten gegenüber Andras war nassforsch und gleichgültig, auch wenn immer noch ein wenig der Groll zu spüren war, der sich bei ihm eingeschlichen hatte, seit Andras ihm die Nachricht von seiner Beziehung zu Klara eröffnet hatte. Es war Józsefs Art, jegliches gesellschaftliches Unbehagen mit Humor zu überspielen; Andras war jetzt Onkel Andras, sooft József die Gelegenheit finden konnte, ihn beim Namen zu nennen. Nach dem Essen führte er Andras und Klara in den nach Norden gehenden Raum, den er als Atelier benutzte. Große Leinwände waren gegen die Wände gelehnt. Vier seiner jüngsten Arbeiten habe er vor Kurzem verkauft, erzählte er; über Familienbeziehungen habe er Móric Papp kennengelernt, den Galeristen von der Váci utca, der Ungarns Elite mit zeitgenössischer Kunst versorgte. Verdrießlich stellte Andras fest, dass József sich seit seinen Studententagen in Paris beachtlich verbessert hatte. Seine Collagen – Gitter dunkler Farbe vor einem Hintergrund
Weitere Kostenlose Bücher