Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
fein gemahlenen schwarzen Schotters, alter Straßenschilder und Teilen von Bahnschienen – konnte man als gut bezeichnen, mochten sogar als Interpretation der Unsicherheit und des Schreckens verstanden werden, der in Europa herrschte. Als Andras Józsefs Kunstwerke lobte, tat der so, als sei die Anerkennung selbstverständlich. Andras hatte sich enorm zusammenreißen müssen, um an dem Abend nicht aus der Haut zu fahren.
Wenn József und seine Zsófia sich am Sonntagnachmittag in der Benczúr utca zu der Gruppe am Tisch gesellten, verbreitete der junge Künstler sich meistens darüber, wie langweilig es in Budapest in den wärmeren Monaten sei – wie viel netter es am Plattensee gewesen wäre und was sie in diesem Augenblick dort täten, wenn sie dort wären. Er und Zsófia gaben irgendeine Erinnerung aus ihrer Kindheit zum Besten – wie Zsófias Bruder mit ihnen in einem lecken Boot mitten auf den See gesegelt war, wie ihnen von unreifen Melonen schlecht geworden war, wie József auf Zsófias Pony ritt und in einen Brombeerbusch fiel –, und dann lachte Zsófia, die ältere Frau Hász nickte schmunzelnd, ihr war noch alles im Gedächtnis, und György und seine Frau tauschten einen wissenden Blick aus, weil es ja das Ferienhaus gewesen war, das József den Arbeitsdienst erspart hatte.
An einem Sonntag Anfang Juni trafen sie auf der Benczúr utca ein und stellten fest, dass József nicht auf seiner angestammten Bank saß. Für Andras war die Aussicht auf einen Nachmittag ohne ihn eine Erleichterung. Kurz zuvor waren Tibor und Ilana eingetroffen; Ilana spielte mit dem kleinen Ádám im Gras, während Tibor neben ihnen auf einer Chaiselongue aus Korbgeflecht saß und die geknickte Krempe von Ilanas Sonnenhut richtete. Andras ließ sich neben seinem Bruder auf einen Stuhl fallen. Es war ein heißer, wolkenloser Tag, einer von vielen; das junge Gras war durch den Regenmangel ganz schlaff. Die Woche in Szentendre war ungewöhnlich aufreibend gewesen; Andras hatte sie nur ertragen, weil er wusste, dass er am Sonntag in diesem schattigen Garten sitzen und mit Himbeersirup gesüßtes kaltes Sodawasser trinken würde. Klara setzte sich zu Ilana ins Gras, Tamás auf ihrem Schoß. Die Kleinen starrten sich auf die ihnen eigene Weise an, so als staunten sie über die Erkenntnis, dass es auf der Welt noch andere Babys gab. Die jüngere Frau Hász kam mit einer Flasche Wasser, einem kleinen Krug dunkelroten Sirups und einem halben Dutzend Gläsern aus dem Haus. Andras seufzte, schloss die Augen und wartete darauf, dass das Glas Himbeerlimonade auf dem niedrigen Tisch neben ihm Gestalt annahm.
»Wo ist dein Sohn denn heute?«, fragte Tibor Elza Hász.
»Bei seinem Vater im Arbeitszimmer.«
Andras hörte eine leichte Anspannung in ihrer Stimme und wachte aus seiner Apathie auf, um Elza aufmerksam zu beobachten, während sie die Gläser mit Wasser herumreichte. In den letzten fünf Jahren war sie alt geworden. Ihr immer noch modisch kurz geschnittenes dunkles Haar war jetzt silbern durchwirkt; die kleinen Fältchen um ihre Augen waren tiefer geworden. Sie hatte abgenommen, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte – ob vor Sorge oder durch schlechte Ernährung, konnte er nicht sagen. Mit leichtem Unbehagen fragte er sich, was György und József im Arbeitszimmer zu diskutieren hatten. Er konnte ihre Stimmen durchs offene Fenster hören – Györgys tiefe, ernste Worte, Józsefs entrüsteten höheren Töne. Kurz darauf warf József die Glastüren auf und lief über die Terrakottafliesen der Terrasse, dann marschierte er über den Rasen auf seine Mutter zu, die sich in einen niedrigen Gartenstuhl gesetzt hatte. Als er bei ihr war, sah er sie so wuterfüllt an, dass sie sich erhob.
»Sag, dass du damit nicht einverstanden bist«, herrschte er sie an.
»Wir werden jetzt nicht darüber sprechen«, sagte Elza Hász und legte eine Hand auf seinen Arm.
»Warum nicht? Wir sind doch alle da.«
Elza warf einen panischen Blick zu ihrem Mann hinüber, der auf die Terrasse gekommen war und auf den Rasen zueilte. »György!« rief sie. »Sag ihm, dass er nicht darüber sprechen soll.«
»József, du lässt das Thema auf der Stelle fallen«, sagte György, als er Frau und Sohn erreicht hatte.
»Ich lasse nicht zu, dass ihr dieses Haus verkauft. Das ist mein Haus. Es ist Teil meines Erbes. Ich will hier irgendwann mal mit meiner Frau wohnen.«
»Das Haus verkaufen?«, fragte Klara. »Was soll das heißen?«
»Erzähl es ihr,
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