Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
Ostwand hinauf. Er machte Kaffee und trank ihn. Andras versuchte, in einer Zeitung zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Er wartete, die Hände im Schoß gefaltet, und als er des Wartens irgendwann müde wurde, ging er durch den Flur und stellte sich vor die Schlafzimmertür. Er legte eine Hand auf den Türknauf, der sich in seinen Fingern mühelos drehte. Auf der anderen Seite war Klara. Das Baby schlief auf dem Bett, die Arme wie kapitulierend über den Kopf gestreckt. Klara hatte rote Augen, ihr Haar hing ihr auf die Schultern. Sie sah genauso aus wie Elisabet damals, als Andras zu ihr gegangen war, um sie aus ihrem Zimmer auf der Rue de Sévigné zu locken. Klara hatte einen Arm über die Brust gelegt und umfasste ihre Schulter, als schmerze sie. Stundenlang hatte Andras ihre Schritte gehört; die ganze Zeit musste sie mit dem Kleinen auf und ab gelaufen sein.
»Komm, setz dich zu mir«, sagte Andras und nahm ihre Hand. Er führte sie ins Vorderzimmer und brachte sie zum Sofa, setzte sich mit ihr hin, hielt ihre Hand in seiner.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte es dir sagen sollen.«
Klara schaute hinunter auf seine Hand, die ihre umschloss, und fuhr sich mit dem Handrücken der anderen über die Augen. »Ich habe mir eingeredet, es sei vorbei«, sagte sie. »Wir kamen hierher zurück und hatten ein neues Leben. Ich hatte keine Angst mehr. Zumindest hatte ich keine Angst mehr vor denselben Dingen wie damals, als ich zum ersten Mal floh.«
»Und genau das wollte ich«, sagte Andras. »Ich wollte, dass du keine Angst hast.«
»Du hättest mir vertrauen sollen, dass ich das Richtige tue«, sagte sie. »Ich hätte unser Kind nicht in Gefahr gebracht. Ich hätte nicht versucht, das Land zu verlassen, solange du beim Munkaszolgálat warst.«
»Aber was hättest du denn getan? Was sollen wir jetzt tun?«
»Wir werden gehen«, sagte sie. »Wir werden alle gehen, bevor György auch den Rest verliert. Selbst wenn er das Haus nicht halten kann, ist er noch lange nicht mittellos. Es gibt noch eine Menge, das gerettet werden kann. Wir werden zu diesem Klein gehen und mit ihm reden, du und ich, und wir werden ihn bitten, die Flucht zu organisieren. Wir müssen versuchen, nach Palästina auszuwandern. Von da ist es vielleicht einfacher, in die Vereinigten Staaten zu gelangen.«
»Du willst das Haus in Paris aufgeben.«
»Natürlich«, sagte Klara. »Denk daran, wie viel mein Bruder schon verloren hat.«
»Aber wie sollen wir dafür sorgen, dass er nicht weiter bedrängt wird? Wenn du fliehst, werden sie ihn dann nicht unter Druck setzen, damit er sagt, wo du bist?«
»Er muss mit uns kommen. Er muss verkaufen, was noch übrig ist, und so schnell wie möglich fort von hier.«
»Und deine Mutter? Meine Eltern? Und Mátyás? Wir können nicht gehen, ohne zu wissen, was mit ihm passiert ist. Wir haben darüber gesprochen, Klara. Wir können das nicht tun.«
»Wir nehmen unsere Eltern mit. Wir organisieren, dass Mátyás mitkommen kann, wenn er rechtzeitig wieder hier ist.«
»Und wenn nicht?«
»Dann sprechen wir mit Klein und leiten es so in die Wege, dass er nach seiner Rückkehr zu uns stößt.«
»Das ist alles nicht so einfach, Klara. Hunderte von Menschen sind bei dem Versuch gestorben, nach Palästina zu gelangen.«
»Ich weiß. Aber wir müssen es einfach versuchen. Wenn wir bleiben, lassen sie die Familie völlig ausbluten. Und am Ende reicht ihnen das Geld vielleicht nicht.«
Lange Zeit saß Andras schweigend da. »Du weißt ja, was Tibor davon hält«, sagte er. »Er wollte schon vor langer Zeit, dass wir abhauen.«
»Und was denkst du?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Klaras Brust hob und senkte sich unter den Falten ihrer Bluse. »Du musst das verstehen«, sagte sie. »Ich kann nicht hierbleiben und zusehen, wie wir – wie meine Familie so behandelt wird. Das habe ich damals nicht gekonnt. Und das kann ich auch jetzt nicht.«
Er verstand es ja. Natürlich hatte er das über sie gewusst: Es lag in ihrer Natur. Aus diesem Grund hatte György ihr nichts erzählt. Sie würden Ungarn verlassen müssen. Sie würden das Eigentum in Paris verkaufen; sie würden zu Klein gehen und ihn anflehen, eine letzte Flucht zu organisieren. Noch in der Nacht würden sie beginnen zu planen, wie es durchzuführen wäre. Doch im Moment gab es nichts mehr zu sagen. Andras nahm wieder ihre Hand, und Klara hielt seinem Blick stand, und er wusste, dass sie verstand, warum er ihr
Weitere Kostenlose Bücher