Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
brauchen.«
»Stellen Sie sich nicht so dumm an«, sagte Andras. »Wir können Ihnen zweitausend geben. Denken Sie darüber nach, was Sie alles damit anstellen könnten!«
»Zweitausend, fünftausend, hunderttausend – das ist mir egal. Was ich hier tue, ist keine Lohnarbeit, verstehen Sie? Wenn Sie unbedingt bezahlen wollen, hätten Sie zu Behrenbohm oder Speitzer gehen müssen. Meine Dienste sind unverkäuflich.«
»Wenn Sie kein Geld wollen, was wollen Sie dann?«
Klein zuckte mit den Schultern. »Ich will, dass es funktioniert. Und dann will ich es für jemand anders tun und dann noch für jemand anders, bis man mich nicht mehr lässt.«
»Das haben Sie aber nicht gesagt, als wir uns kennenlernten.«
»Nach der Struma hatte ich Angst«, sagte Klein. »Jetzt nicht mehr.«
»Warum nicht?«
Erneut zuckte er mit den Achseln. »Es wurde immer schlimmer. Lähmende Angst kam mir auf einmal wie ein Luxus vor.«
»Was ist, wenn Sie fliehen wollen? Meine Freunde könnten Ihnen mit einem Visum helfen.«
»Ich weiß. Das ist gut. Das merke ich mir.«
»Das merken Sie sich? Das ist alles?«
Klein nickte Andras zu und nahm den Schraubenzieher wieder aus dem Gürtel. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe heute noch zu tun. Wir sind durch, es sei denn, Sie hören noch von mir. In zwei Wochen geht es los.« Er beugte sich über das Gerät und löste eine Schraube, die einen Kupferdraht hielt.
»Und?«, fragte Andras. »Das war’s?«
»Das war’s«, sagte Klein. »Ich bin kein sentimentaler Mensch. Wenn Sie einen langen Abschied wollen, reden Sie mit meiner Großmutter.«
Doch Kleins Großmutter war in ihrem Sessel eingeschlafen. Sie hatte das Challa-Tuch fertiggestellt und es in Seidenpapier eingeschlagen, die Namen von Andras und Klara auf ein kleines Kärtchen geschrieben und es mit einer Nadel am Papier befestigt. Andras beugte sich zu ihrem Ohr hinunter und bedankte sich flüsternd, doch sie wachte nicht auf. Im Hof gaben die Ziegen ihre Kommentare ab. Aus Kleins Zimmer ertönte ein unterdrücktes Fluchen, dann wurde ein Werkzeug scheppernd zu Boden geworfen. Andras klemmte sich das Päckchen unter den Arm und verschwand lautlos durch die Tür.
Und dann dauerte es nur noch eine Woche bis zu ihrem Aufbruch. Andras und Mendel stellten die letzte illustrierte Ausgabe der Schiefen Bahn zusammen, und Mendel musste Andras versprechen, dass er mit der Zeitung so lange weitermache, bis sein Visum eintraf – auch ohne Zeichnungen. Das jüngste Blatt brachte ein fingiertes Interview mit einem freizügigen Star des ungarischen Films, dazu ein Kreuzworträtsel, dessen umkreiste Buchstaben den Namen ihres Major Károly Varsádi ergaben, und eine optimistische Wirtschaftskolumne mit der Überschrift »Schwarzmarkt-Überblick«, in der alle Indices auf eine nicht enden wollende Reihe lukrativer Lieferungen hinwiesen. Unter »Soldaten fragen, Hitler antwortet«, inzwischen zu einer festen Einrichtung geworden, fand sich in dieser Woche nur ein Brief:
LIEBER HERR HITLER : Wann ist dieses heiße Wetter endlich vorbei? Mit freundlichen Grüßen, SONNENSTICH
LIEBER SONNENSTICH : Es ist dann vorbei, wenn ich es verdammt noch mal sage, und kein bisschen früher! Heil mir, HITLER
In der Mitte der Woche kamen Andras’ Eltern nach Budapest, um ihre Kinder und Enkelkinder ein letztes Mal vor der Abreise zu sehen. Sie gingen zum Essen in die neue Unterkunft der Familie Hász, eine Wohnung mit hohen Decken, abbröckelnder Stuckverzierung und einem Parkettboden in Fischgrätmuster, das man auch points de Hongrie nannte. Es war jetzt fast fünf Jahre her, stellte Andras fest, dass er an der École Spéciale Parkettkunst gelernt hatte; fünf Jahre, seit er gelernt hatte, welche Holzart sich für welches Verfahren eignete, und die Muster in sein Skizzenbuch gezeichnet hatte. Jetzt war er hier in dieser Wohnung mit seinen leidgeprüften Eltern, mit seiner leidenschaftlichen, wunderbaren Frau und seinem kleinen Sohn und bereitete sich darauf vor, für vielleicht immer Abschied von Europa zu nehmen. Die Architektur dieser Wohnung war nur insofern wichtig, als sie ihn an das gemahnte, was er zurücklassen würde.
Sein Bruder und Ilana kamen hinzu, der Kleine schlief auf Ilanas Arm. Sie setzten sich eng nebeneinander aufs Sofa, während József neben ihnen auf einem goldenen Stuhl thronte und eine Zigarette von seiner Mutter rauchte. Andras’ Vater blätterte in einem kleinen Psalmenbuch und strich einige Verse an,
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