Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
verkraftet, sagte der alte Klein, aber nicht so Miklós. Er erhielt Bestnoten in der Schule und war mit der Zeit zu einer Art Erfinder aus eigenem Recht geworden – ein Schöpfer von Möglichkeiten, wo es keine gab.
»Was für ein Glücksfall, dass wir ihn gefunden haben«, sagte Andras.
»Auf dass eure Glückssträhne anhalte«, sagte der Großvater. Er spuckte dreimal aus und klopfte auf den Holzturm des Ziegenhauses. »Auf dass eure Reise nach Palästina nur in ihrer Eintönigkeit außergewöhnlich wird.«
Andras tippte sich an die Mütze und ging über die Steinplatten zur Tür. Kleins Großmutter saß im Vorderzimmer in einem Sessel, einen runden Stickrahmen auf dem Schoß. Das in kleinen goldenen Kreuzen gestickte Muster war ein Challazopf und das Wort Schabbes in hebräischen Buchstaben.
»Für euren Tisch im Heiligen Land«, sagte sie.
»Oh, nein«, sagte Andras. »Das ist viel zu gut.« Er dachte an die immer wieder neu gepackten Koffer, in die unmöglich noch irgendetwas hineinpasste.
Doch vor Kleins Großmutter konnte man nichts verbergen. »Ihre Frau kann es sich in das Futter ihres Sommermantels nähen«, sagte sie. »Da ist ein Glücksbringer drin.«
»Wo?«
Sie zeigte ihm zwei winzige hebräische Buchstaben, die mit Kreuzstich in das Ende der Challa gestickt waren. »Die Zahl achtzehn. Chai. Leben.«
Andras nickte zum Dank. »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte er. »Sie sind uns eine große Hilfe gewesen.«
»Der Junge wartet in seinem Zimmer. Gehen Sie.«
In seiner aktenüberladenen Höhle saß Klein auf dem Bett, das Haar in wilder Unordnung, ohne Oberhemd, einen Rundfunkempfänger ausgeweidet auf der Decke vor sich. Wenn er bei Andras’ erstem Besuch schon ungepflegt gewesen war und nach reifem Obst gerochen hatte, schien er sich nun, nachdem er ihre Flucht seit einem Monat plante, zu einer prähistorischen Existenzform zurückzuentwickeln. Sein schwarzer Bart war struppig gewachsen. Andras konnte sich nicht erinnern, wann er Klein zum letzten Mal in einem Hemd gesehen hatte. Sein Geruch erinnerte an die Baracken in Kárpátalja. Wären das offene Fenster und die leichte Brise nicht gewesen, die in den obersten Blättern auf den Stapeln raschelte, niemand hätte sich längere Zeit in diesem Zimmer aufhalten können. Und doch war dort auf dem Schreibtisch ein freier Platz, wo eine steife Aktenmappe aufgeschlagen lag. Auf der einen Seite heftete eine kodierte Reiseroute, auf der anderen lag ein dickes Bündel von Anweisungen. Gedalya, ihr Codename, stand auf dem Reiter. Und in Andras’ Hand waren die noch fehlenden Puzzleteile, das Päckchen von Unterlagen, die das Bild vervollständigten, der legale Teil ihrer illegalen Unternehmung. Vor der Planung dieser Flucht hatte er sich niemals vorstellen können, welch byzantinisches Labyrinth zwischen Ausreise und Einreise liegen mochte. Klein schob einen winzigen Schraubenzieher in seinen Gürtel und sah Andras mit erhobenen Augenbrauen an. Andras legte ihm die Dokumente in den Schoß.
»Echt«, sagte Klein und fuhr über die erhabenen Buchstaben des britischen Siegels. Seine dunkel umrandeten Augen blickten in die von Andras. »Gut, das ist es. Ihr seid so weit.«
»Wir haben noch nicht über Geld gesprochen.«
»Doch, haben wir.« Klein griff nach der Akte und nahm ein Blatt heraus, das aus einem Kontenbuch gerissen war, eine Auflistung von Zahlen in seiner schmalen, linkslastigen Schrift. Die Kosten für falsche Ausweise, falls sie entdeckt würden. Die Vergütung für den Kahnführer und den Kapitän des Fischerbootes, ihr eigener Anteil am Treibstoff, die Ausgaben für Essen und Wasser und das zusätzliche zur Seite gelegte Schmiergeld, dann die Hafengebühren, die Steuern und die Kosten einer zusätzlichen Versicherung, weil in den letzten Monaten so viele Schiffe im Mittelmeer mit Torpedos beschossen worden waren. Das alles war bar zu bezahlen, nach und nach, unterwegs. »Das sind wir schon alles durchgegangen«, sagte Klein.
»Ich meine Ihr Honorar«, sagte Andras. »Darüber haben wir noch nicht gesprochen.«
Klein blickte finster drein. »Beleidigen Sie mich nicht.«
»Ich beleidige Sie nicht.«
»Sehe ich aus, als würde ich etwas brauchen?«
»Ein Hemd«, sagte Andras. »Ein Bad. Vielleicht ein neues Rundfunkgerät.«
»Ich nehme kein Geld von Ihnen.«
»Das ist ja albern.«
»Das ist halt so.«
»Wenn Sie es nicht für sich nehmen, dann nehmen Sie es für Ihre Großeltern.«
»Die haben alles, was sie
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