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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Psalm oder welches Gebet einen so ruhigen Ausdruck auf Józsefs Gesicht gezaubert haben mochte; als sich die Wörter zu einer verständlichen Zeile dechiffrierten, hätte er fast laut gelacht. Es war ein Lied von Cole Porter, das József auf seinen Partys oft auf dem Grammofon gespielt hatte: I’m with you once more under the stars / And down by the shore an orchestra’s playing / And even the palms seem to be swaying / When they begin the beguine . Abrupt unterbrach ein neuerliches Stakkato der Flugabwehrgeschütze die Stille, dann gab es einen gewaltigen Akkord von Detonationen, so als habe ein Trio von Bomben gleichzeitig eingeschlagen. Die Männer fielen auf die Knie, das Licht ging aus. József gab ein tierisches Geräusch der Panik von sich. So also würde es sein, dachte Andras: József würde seine gerechte Strafe hier in dieser Gruft unter dem Versammlungssaal ereilen. Und wie in einem Märchen, wo man für seine selbstsüchtigen Wünsche oft einen hohen Preis bezahlte, würde József sterben, aber Andras würde mit ihm gehen müssen. Eine Bombe nach der anderen fiel herab, und József legte die Stirn an Andras’ Schulter und stammelte: »Verzeih mir, verzeih mir, bitte …« Der Zigarettenqualm in seinem Haar war der Geruch der Abende in Paris. In einem unbedachten Augenblick legte Andras eine Hand auf Józsefs Kopf.
    Dann flackerten die Glühbirnen plötzlich wieder auf. Die Männer rappelten sich auf. Sie staubten ihre Uniformen ab und taten so, als hätten sie gerade nicht die Arme des anderen umklammert, dem anderen nicht das Gesicht an die Brust gedrückt, als hätten sie nicht gebetet, geweint und um Entschuldigung gefleht. Sie schauten sich um, wie um sich zu vergewissern, dass keiner von ihnen wirklich Angst gehabt hatte. Die Erde war still geworden; der Bombenangriff war vorbei. Oben war alles ruhig.
    »In Ordnung, Männer«, sagte der Offizier, der ihnen befohlen hatte, strammzustehen. »Wartet auf die Entwarnung.«
    Es dauerte lange, bis das Signal erklang. Als sie es schließlich hörten, strömten alle zum Gang, ein Gedränge von Männern, die mit vor Schreck dumpfer Stimme redeten. Niemand wusste, was sie vorfinden würden, wenn sie oben herauskamen. Andras dachte an das Arbeitslager, in dem sie bei ihrer Ankunft in Turka erst hatten untergebracht werden sollen – jenes Massengrab, der nasse Matsch, der wie eine vollgesogene Decke auf dem Boden lag. József und er fädelten sich in den Pulk von Männern, die den Weg zurück zur Treppe suchten. Die Luft im Bunker war verbraucht, enthielt nur noch wenig Sauerstoff.
    Am Fuß der Treppe war ein Engpass. Als Andras zu den Stufen drängte, stieß ihn jemand an und drückte ihm etwas in die Hand. Es war Erdő mit feuchtem roten Gesicht, ohne Monokel. »Ich hab vorher nicht dran gedacht«, flüsterte er Andras ins Ohr. »Ich war zu beschäftigt mit dem Stück. Wenn ich gestorben wäre, hätten Sie ihn nie erhalten. Oder Sie hätten sterben können, ohne ihn je zu bekommen.«
    Andras blickte auf seine Hand hinunter, wollte sehen, um was es sich handelte. Es war ein mit einem Taschentuch umwickeltes, gefaltetes Stück Papier.
    Er konnte es nicht abwarten. Er musste nachsehen. Andras schlug eine Ecke des Taschentuchs zurück, und da war Klaras Schrift auf einem schmalen blauen Umschlag. Sein Herz hüpfte in seiner Brust.
    »Stecken Sie das weg!«, sagte Erdő, und Andras gehorchte.
    Zurück im Waisenhaus, wollte er nur noch allein sein – um an einem stillen Ort Klaras Brief lesen zu können. Doch die Männer der Kompanie 79/6 bombardierten ihn und die anderen mit Fragen: Was war passiert? Hatten sie die Flugzeuge gesehen? War jemand getötet worden? Waren sie selbst verletzt? Was hatte das zu bedeuten: ein Luftangriff so weit entfernt von der Front? Die Wachen hatten in Kozmas Privatunterkunft den Funk abgehört, aber den Zwangsarbeitern natürlich nichts verraten; der Bombenangriff hatte so lange gedauert, dass die Kameraden dachten, alle in der Schule wären tot.
    Es waren Menschen gestorben. Das stimmte. Als die Zuschauer aus dem Versammlungssaal stürmten – beziehungsweise aus den drei Wänden, die noch standen –, hatte ein Strom von Flüchtenden sie zu einem Bunker mitgerissen, der über den darin kauernden Offiziersanwärtern zusammengebrochen war. Drei Stunden lang mühten sich die Zwangsarbeiter und die Soldaten mit Schaufeln und Spitzhacken, Seilen und Lastwagen ab, um die Holz- und Betonmassen zu entfernen, die die Männer unter sich

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