Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
Schubkarre abtransportieren.« Er sah zu, wie die Vorarbeiter die Männer in Gruppen einteilten, während sie auf die Schubkarren warteten. Kozma stand schweigend neben dem General, rang unablässig die Hände, als wollte er die Haut von ihnen abstreifen. Der General schien vergessen zu haben, dass sein Leben in Gefahr war, dass das NKWD von seiner Anwesenheit im Lager wusste. Er missachtete die dringenden Bitten seines Adjutanten, in den Bunker zurückzukehren. Zur Mittagszeit begleitete Nagy mit seinem Adjutanten die Männer zum neuen Messezelt und sorgte dafür, dass sie eine zusätzliche Ration Brot und Margarine erhielten. Der General befahl seinem Adjutanten, eine Bank zu dem Fleck nackter Erde ziehen, wo die Arbeitsdienstler aßen; er nahm sein Essen mit ihnen ein, stellte ihnen Fragen über ihr Leben vor dem Krieg und was sie tun wollten, wenn er vorbei wäre. Anfangs antworteten die Männer zögerlich, unsicher, ob sie diesem hochrangigen Menschen in der ordenstarrenden Jacke trauen konnten, doch bald verloren sie ihre Befangenheit. Andras sagte nichts; er hielt sich ein wenig abseits; ihm war bewusst, dass er gerade etwas Außergewöhnliches erlebte.
Nach dem Essen ordnete der General an, dass die Männer von der 79/6 entlaust und gebadet würden und saubere Uniformen aus dem Lager der Offiziersschule erhielten. Sie sollten von den Ärzten der schulischen Krankenstation untersucht, ihre Wunden und Krankheiten behandelt werden. Dann würden ihnen Aufgaben zugeteilt werden, die es ihnen ermöglichten, wieder zu Kräften zu kommen. Es läge auf der Hand, dass sie zu schwach und krank seien, um schwere Arbeit zu verrichten. Für den Rest des Tages schickte er sie in die feuchte Hitze des Messezelts, wo der Koch sie anwies, für das Offiziersessen Kartoffeln zu schälen und Zwiebeln zu schneiden.
Zum Mittag erhielten die Männer eine weitere Extraration Brot und Margarine. Ein ihnen unbekannter Offizier, ein großer bärengleicher Mann, der sich ihnen als Major Bálint vorstellte, verkündete, dass die Zusatzration eine Dauerleistung sei; der General habe angeordnet, dass die Ernährung der Männer umgestellt werde. Fürs Erste würden sie weiterhin im Messezelt dienen und nicht zum Straßenbau zurückgeschickt werden. Und es gäbe noch eine weitere Änderung: Bálint selbst wäre von nun an ihr Kommandeur. Major Kozma würde nichts mehr mit der 79/6 zu tun haben, auch mit keiner anderen Munkaszolgálat-Kompanie, wenn General Nagy da ein Wörtchen mitzureden hätte, höchstens mit der Kompanie, in der Kozma selbst würde dienen müssen.
Seit ihrem Eintreffen in Turka hatte es nicht einen Abend im Waisenhaus gegeben, den man als festlich hätte bezeichnen können. Die Männer hatten die Feiertage zwar begangen, jedoch mit einem traurigen Pflichtgefühl und in dem Bewusstsein, weit entfernt von allem zu sein, das sie liebten. Doch an jenem Abend trafen sich alle zu einer Uhrzeit, in der Kozma sie sonst draußen hätte antreten und bis zur völligen Erschöpfung strammstehen lassen, in einem der Klassenzimmer im Erdgeschoss, um Karten zu spielen, alberne Lieder zu singen und Nachrichten aus Zeitungsausschnitten vorzulesen, die sie aus der Offiziersschule mitgenommen hatten. Die Sowjets, las Elfenbeinturm vor, würden die Eroberung Stalingrads durch die Deutschen weiter hinauszögern, die Schlacht gehe jetzt in die elfte Woche; es gebe erbitterte Gefechte auf den Straßen der Stadt und in den nördlichen Vororten, die hoffen ließen, dass die Wehrmacht bei Einbruch des russischen Winters immer noch in Kampfhandlungen verstrickt sein würde. »Lassen wir sie bibbern!«, rief Elfenbeinturm und krönte sich mit einem Papierschiffchen, das Andras aus einer Werbeseite gefaltet hatte. Er packte Andras am Arm und vollführte einen Bauerntanz. »Wir sind frei, meine Lieben, frei«, sang er und wirbelte den Kameraden durch den Raum. Das stimmte natürlich nicht; Lukás und die anderen Soldaten standen noch immer an der Tür Wache, und jeder Angehörige der 79/6 konnte erschossen werden, wenn er unbegleitet über die Straße ging. Doch von Major Kozma waren sie tatsächlich befreit. Und als ob das noch nicht genug war, waren sie auch sauber und läusefrei. General Nagy war sogar so weit gegangen, ihre Matratzen und Decken rauswerfen und verbrennen zu lassen und unverzüglich durch neue zu ersetzen.
Am Abend schrieb Andras in der duftenden Behaglichkeit einer mit süßem Heu gestopften Matratze an Klara:
Liebe K, hier hat
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