Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
die Ankunft des Generals. Das Stück würde am Abend Premiere feiern.
Vor der Wagenkolonne des Generals ging die Marschkapelle der Offiziersanwärter: ein paar verzweifelt ernste Trompeter, ein phlegmatischer Posaunist, ein fetter Flötist und ein rotgesichtiger Trommler. Hinter ihnen kamen zwei Panzerwagen mit der ungarischen Flagge, dann Militärpolizei auf Motorrädern und schließlich General Vilmos Nagybaczoni Nagy in einem offenen Wagen, einem glänzend schwarzen Lada mit Weißwandreifen. Der General war jünger, als Andras erwartet hatte, noch nicht ergraut, im kraftstrotzenden mittleren Alter. Seine Uniform starrte nur so vor Abzeichen in jeder Form und Farbe, darunter das türkis-goldene Kreuz, die höchste Auszeichnung des Honvédség für Tapferkeit vor dem Feind. Neben ihm fuhr ein junger Mann in einer nicht so bunt funkelnden Uniform, offenbar sein Adjutant oder Sekretär. Alle paar Minuten wandte der General den Blick von den Soldatenreihen ab und flüsterte dem jungen Offizier etwas ins Ohr, und der kritzelte eifrig in einen Stenoblock. Der Blick des Generals schien besonders lange auf den Kompanien der Zwangsarbeiter zu verweilen. Andras wagte es nicht, direkt zu ihm aufzublicken, doch er spürte, wie Nagys Augen ihn streiften, als die Kolonne vorbeirollte. Der General beugte sich vor und sprach mit seinem Adjutanten, und der junge Mann machte sich abermals Notizen. Nachdem der Korso seine Runde um den Platz gedreht hatte, trat die Marschkapelle zur Seite, und die Wagen dröhnten in Richtung der Offiziersschule davon.
Als Andras und József im Versammlungssaal eintrafen, um die letzten Vorbereitungen für die Aufführung zu treffen, mussten sie feststellen, dass überall wildes Durcheinander herrschte. Die Bühnenbilder waren beiseitegeschoben worden, damit der leitende Offizier der Akademie die offizielle Begrüßungsansprache halten konnte, dabei waren zwei Hintergrundkulissen zerrissen und eine Pappmaché-Höhle seitlich eingedrückt worden. Erdő schritt in bestürzter Panik von einem Ende der Bühne zum anderen und verkündete lautstark, dass die Reparaturen niemals rechtzeitig fertig würden, während sich Andras, József und die anderen überschlugen, um alles instand zu setzen. Andras besserte die Höhle mit einem Eimer Kleister und braunem Papier aus; József flickte eine römische Ruine mit einer Rolle Klebeband. Die anderen Männer stellten und hängten die zweite eingerissene Kulisse um. Als die Essenszeit vorbei war, hatte alles wieder seine Ordnung. Die Schauspieler kamen, um ihre Tataren- und Magyarenkostüme anzuziehen und ihre Stimmübungen zu machen. Hinter den Kulissen putzten sie sich heraus, summten und murmelten ihre Texte ebenso ernst und wichtigtuerisch wie die Schauspieler im Sarah-Bernhardt.
Um halb neun füllte sich der Versammlungssaal mit Offiziersanwärtern. Ihr Lärmen besaß eine angespannte Feierlichkeit, ein ansteigendes Getrommel der Vorfreude. Andras entdeckte eine dunkle Ecke hinter der Bühne, von wo er die Reden und die Aufführung gut verfolgen konnte. Er erhaschte einen Blick auf das kriegerische Funkeln der Generalsjacke, als ihr Träger den Mittelgang hinaufschritt und einen Platz in der ersten Sitzreihe einnahm. Der leitende Offizier der Schule ging auf die Bühne und hielt eine Ansprache, einen rhetorischen pas de deux aus Ehrerbietung und Schwulst, unterstrichen mit Gesten, die Andras aus den Filmaufnahmen von Hitler kannte: die hämmernde Faust auf dem Podium, der emporgereckte Zeigefinger, die dirigierende Handfläche. Das Gepolter brachte dem Akademieleiter sechs Sekunden pflichtschuldigen Applaus von den Offiziersanwärtern ein. Doch als General Nagy sich erhob, um auf die Bühne zu steigen, sprangen die Männer auf die Füße und brüllten. Er hatte sie auserwählt, hatte sie mit dem ersten Zwischenstopp auf seiner Reise durch den Osten beehrt; anschließend würde er direkt zum Führerhauptquartier nach Winnyzja fahren. Der General hob dankend die Hand, und sie nahmen wieder Platz und schwiegen erwartungsvoll.
»Soldaten«, begann er. »Junge Männer. Ich werde keine lange Rede halten. Ich muss euch nicht sagen, dass Krieg etwas Schreckliches ist. Ihr seid weit entfernt von Heimat und Familie, und ihr werdet noch weitergehen, ehe ihr zurückkehrt. Ihr seid mutige Kerle, jeder von euch.« Vilmos Nagys Worte hatten nichts von der Prahlerei und der feurigen Dramatik des Akademieleiters; er sprach die Vokale rund aus wie ein Hajduken-Bauer, umfasste
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