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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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er zurückgekehrt sei, durfte sie endlich dankbar sein, dass ihnen die Unwägbarkeit der Reise erspart geblieben war. Auf das zweite Thema reagierte Klara mit Trauer und Bestürzung, und Andras musste daran denken, dass auch sie den Tod ihres engsten Freundes und Verbündeten miterlebt hatte; auch sie war Zeuge des sinnlosen Tötens eines Mannes geworden, den sie seit der Kindheit geliebt hatte. Zum dritten Thema konnte Klara nur sagen, dass sie verstand, wie sehr sich Andras zusammengerissen haben musste, um József keine Gewalt anzutun. Doch die Zeit mit Andras beim Munkaszolgálat habe József grundlegend verändert, fand sie; seit seiner Rückkehr sei er ein anderer Mann, oder vielleicht sei er bloß endlich erwachsen geworden.
    Aus Gründen, die Andras nur schwer benennen konnte, war das schwierigste Thema, Zoltán Novaks Tod. Monate vergingen mit Samstagsspaziergängen, ehe er Klara erzählen konnte, dass er an Novaks letzten Lebenstagen bei ihm gewesen war und Novak eigenhändig begraben hatte. Klara hatte in der Zeitung von Novaks Tod gelesen und seinen Verlust vor Andras’ Rückkehr betrauert, doch bei dieser Nachricht weinte sie aufs Neue. Sie bat Andras, ihr genau zu erzählen, was passiert war: wie er Novak entdeckt habe, was sie zueinander gesagt hätten, wie Novak gestorben sei. Als Andras fertig war, alles so vorsichtig wie möglich geschildert und viele schmerzhafte Details ausgelassen hatte, musste auch Klara selbst etwas gestehen: Sie und Novak hatten in den langen Monaten seiner Dienstzeit fast ein Dutzend Briefe ausgetauscht.
    Bei ihrem Gang hielten sie vor der Ruine einer Franziskanerkirche auf halber Höhe an der Ostseite der Insel inne: Steine, die aussahen, als seien sie aus der Erde gewachsen, eine Fensterrosette ohne Glas, gotische Fenster ohne Spitzbogen. Es war Dezember, aber der Tag war verhältnismäßig mild; im Schatten der Ruine stand eine Bank, wo ein Ehepaar sich etwas beichten mochte, selbst wenn es zwei Juden waren. Selbst wenn kein Beichtvater zugegen war außer ihnen selbst.
    »Wie hat er dir schreiben können?«, fragte Andras.
    »Er gab die Briefe Offizieren mit, die auf Heimaturlaub gingen.«
    »Und du schriebst zurück.«
    Sie faltete ihr feuchtes Taschentuch und schaute zur leeren Fensterrosette empor. »Er war allein, er hatte niemanden mehr. Selbst sein Sohn war da schon gestorben.«
    »Deine Briefe müssen ein starker Trost für ihn gewesen sein«, sagte Andras mit gewisser Überwindung und folgte Klaras Blick zur Ruine. In einer Rundung der Rosette hatte ein Vogel sein Nest gebaut; es war längst verlassen, nur die trockenen Grashalme flatterten im Wind.
    »Ich habe versucht, ihm keine falschen Hoffnungen zu machen«, sagte Klara. »Er kannte die Grenzen meiner Gefühle für ihn.«
    Andras blieb nichts anderes übrig, als ihr zu glauben. Der Mann, den er im Kornspeicher gesehen hatte, konnte nicht der Illusion erlegen sein, jemand hege eine heimliche Liebe zu ihm. Er war ein Mann, der von allem verlassen worden war, das ihm etwas bedeutete, ein Mann, der die Zerstörung all dessen mit ansehen musste, was er im Leben erreicht hatte. »Ich gönne ihm deine Briefe«, sagte Andras. »Ich kann dir keinen Vorwurf machen, weil du ihm geschrieben hast. Er war immer gut zu dir. Er war gut zu uns beiden.«
    Klara legte eine Hand auf Andras’ Knie. »Er hat nie bereut, was er für dich getan hat«, sagte sie. »Er erzählte mir, dass er im Operaház mit dir gesprochen hatte. Er sagte, du seist viel freundlicher gewesen, als er erwartet hätte. Er sagte sogar, wenn ich es schon für nötig gehalten hätte, jemanden zu heiraten, so wäre er froh, dass meine Wahl auf dich gefallen sei.«
    Andras legte seine Hand auf ihre und schaute wieder hoch zum Vogelnest, das in der Fensterrosette zitterte. Er hatte architektonische Zeichungen dieser Kirche im unversehrten Zustand gesehen, die elegante, aber unauffällige gotische Linienführung, kaum zu unterscheiden von der Bauweise tausend anderer gotischer Kapellen. Erst als Ruine hatte sie etwas Außergewöhnliches bekommen. Das perfekte Mauerwerk der hinteren Wand war bloßgelegt; die vordere Wand war zu einer zerklüfteten Treppe verwittert, die Steinkanten samtig gerundet. Die Fensterrosette wirkte durch das fehlende Glas eleganter, die Streben ihrer Blumenkrone waren vom Wind gescheuert und von der Sonne weiß gebleicht. Das Nest mit den Grashalmen war ein ungewollter letzter Schliff: Er war nicht von Menschenhand in das Gebäude

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