Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
geöffnet bleiben müssen.«
»Und?«
Novak lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Hände zu einem Gebirge. »Siebenundfünfzig Personen«, sagte er. »So vielen muss ich heute kündigen, sagen diese Männer. Inklusive mir und Ihnen.«
»Aber das sind ja alle«, sagte Andras.
»Exakt«, gab Novak zurück. »Das Bernhardt wird geschlossen. Wir machen dicht, zumindest bis zur nächsten Saison. Man kann uns nicht mehr unterstützen, obwohl wir den ganzen Herbst hindurch Gewinn gemacht haben. Die Mutter lief besser als jedes andere Stück in Paris, müssen Sie wissen. Aber es hat nicht gereicht. Dieser Schuppen ist ein Fass ohne Boden. Wissen Sie, was es kostet, einen fünf Stockwerke hohen Raum zu heizen?«
Andras nahm einen Schluck Whisky und spürte, wie die trügerische Wärme sich in seiner Brust ausbreitete. »Was werden Sie tun?«, fragte er.
»Was werden Sie denn tun?«, fragte Novak. »Und was werden die Schauspieler tun? Und Madame Courbet? Und Claudel und Pély und all die anderen? Es ist eine Katastrophe. Und wir sind nicht mal die Einzigen. Noch drei weitere Theater werden geschlossen.« Novak lehnte sich im Sessel zurück und strich mit einem Finger über seinen Schnurrbart, sein Blick wanderte über die Bücherregale. »Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich tun werde. Madame Novak ist in anderen Umständen, wie man so sagt. Sie sehnt sich nach ihren Eltern in Budapest. Ich bin mir sicher, dass sie es als Zeichen auffassen wird, nach Hause zurückzukehren.«
»Aber Sie würden lieber hierbleiben«, bemerkte Andras.
Novak ließ einen Seufzer aus dem breiten Gebläse seiner Brust aufsteigen. »Ich kann verstehen, wie Edith sich fühlt. Dies ist nicht unsere Heimat. Wir haben uns hier in unserer Nische eingerichtet, aber nichts davon gehört wirklich uns. Wir sind schließlich doch Ungarn, keine Franzosen.«
»Als ich Sie in Wien kennenlernte, dachte ich, kein Mann könnte mehr wie ein Pariser aussehen als Sie.«
»Jetzt sehen Sie selbst, wie grün Sie hinter den Ohren waren«, sagte Novak und lächelte trüb. »Und was ist mit Ihnen? Sie müssen doch Ihre Studiengebühren zahlen.«
Andras erzählte von der angebotenen Gehilfenstelle beim Bühnenbildner, Monsieur Forestier, und dass er gerade Novak um Rat in der Angelegenheit hatte bitten wollen.
Novak schlug die Hände zusammen, ein applaudierendes Geräusch. »Es wäre furchtbar schade gewesen, Sie zu verlieren«, sagte er. »Aber es ist eine hervorragende Gelegenheit, die zur rechten Zeit kommt. Sie müssen natürlich zusagen.«
»Ich kann Ihnen gar nicht genug für das danken, was Sie für mich getan haben«, sagte Andras.
»Sie sind ein guter junger Kerl. Sie haben hier hart gearbeitet. Ich habe nie bedauert, Sie eingestellt zu haben.« Novak leerte den Rest seines Glases und schob es über den Tisch. »Würden Sie das bitte für mich nachfüllen? Anschließend muss ich los und den anderen die Nachricht überbringen. Sie werden morgen zur Arbeit erscheinen, hoffe ich. Es gibt viel zu tun, wenn dieser Laden dichtgemacht wird. Sie müssen Forestier sagen, dass ich Sie erst zum Ende des Monats freigeben kann.«
»Bis morgen dann also, wie immer«, sagte Andras.
Am Abend ging er mit einem beklemmend leeren Gefühl in der Brust nach Hause. Kein Sarah-Bernhardt mehr. Kein Monsieur Novak mehr. Kein Claudel, kein Pély; keine Marcelle Gérard. Und keine Klara – keine Klara mehr. Die harte weiße Eierschale seines Lebens war durchstochen und ausgeblasen. Und hohl und leicht, wie er war, ließ er sich vom Januarwind nach Hause treiben. In der Rue des Écoles 34 stieg er Stufe um Stufe hinauf – wie viele hundert waren es bloß? –, hatte das Gefühl, an diesem Abend nicht mehr genug Kraft zu haben, in seine Bücher zu schauen, nicht mal sich das Gesicht zu waschen und sein Nachtzeug anzuziehen. Er wollte sich einfach in Hose, Schuhen und Mantel hinlegen, die Decke über den Kopf ziehen und die Stunden bis zum Sonnenaufgang überstehen. Doch am Treppenabsatz angekommen, erblickte er einen Lichtstreifen unter seiner eigenen Tür, und als er die Hand auf den Knauf legte, war er entriegelt. Andras drückte gegen die Tür und ließ sie aufschwingen. Ein Feuer im Ofen, Brot und Wein auf dem Tisch, auf dem einzigen Stuhl mit einem Buch in den Händen Klara.
»Te« , sagte er. Du.
»Und du«, sagte sie.
»Wie bist du hereingekommen?«
»Ich habe der Concierge gesagt, du hättest Geburtstag. Ich hätte eine Überraschung für
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