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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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seit jemand das hier mit Feder und Tinte geschrieben hatte?
    »Frühes Mittelalter, würde ich meinen. Aber um das genauer sagen zu können, müsste ich das Original sehen. Wo ist das eigentlich?«
    »Soweit ich weiß, wurde das dem Mittelaltermuseum in Stockholm zur Verfügung gestellt. Die Archäologen sagten, es handelt sich nicht um irgendetwas Bedeutendes, sondern nur um einen privaten Brief sozusagen. Und weil man sich in Stockholm wohl sehr auf den Alltag des Mittelalters spezialisiert und damals gerade nach Stücken aus möglichst allen Ostseestädten gesucht hat, haben die das bekommen. So habe ich es jedenfalls in Erinnerung.«
    Sie hatte ihm aufmerksam zugehört und betrachtete jetzt die ersten Zeilen und vor allem das Material beziehungsweise das, was davon zu erkennen war. Durch das Kopieren war der Text ein wenig verschwommen. Außerdem, vermutete sie, hatte das Pergament wohl auch ordentlich gelitten in den Jahren, in denen es von Schutt und Steinen begraben war. Hinzu kam, dass es nicht gerade aufwendig restauriert worden war. Das war jedenfalls ihr Eindruck.
    »Ich dachte, für Sie ist es vielleicht interessant, weil darin nämlich auch der Name Esther vorkommt.«
    »Was sagen Sie da?« Ihre Augen glitten hektisch über die Zeilen.
    »Glaube ich zumindest. Viel kann ich ja nicht lesen, wie gesagt. Also eigentlich fast gar nichts. Die Schrift ist nun wirklich nicht sehr deutlich und dann diese komische Sprache … Aber immer, wenn ich mal die Muße habe und mir mein gutes Stück länger ansehe, dann denke ich, dass da an einer Stelle Esther steht.«
    Sie hörte ihn schon gar nicht mehr, folgte vielmehr seinem Finger, den er über eine Stelle des Glases hielt. Was sie auf Anhieb entziffern konnte, raubte ihr den Atem.
    »Haben Sie nicht vorhin über Wunder gesprochen?«, fragte sie ihn, ohne den Blick zu heben. »Man muss nur daran glauben? Anscheinend ist das nicht einmal nötig. Damit hätte ich nie gerechnet, aber hier habe ich mein Wunder.« Sie strahlte ihn an.
    »Wirklich? Also habe ich recht, und da ist wirklich von einer Esther die Rede?«
    »Nicht von einer Esther, Costas, von meiner. Ich fasse es nicht. Esther ist nicht länger ein Phantom. Wie es aussieht, gab es jemanden, der nicht wollte, dass sie vergessen wird.«

[home]
    Lübeck, 18 . April 1226  – Esther
    A ls sie erwachte, fühlte Esther sich großartig. Dabei hatte sie in der letzten Nacht nicht eben viel Schlaf bekommen. Die Erinnerung an das, was sie mit Vitus getan hatte, trieb ihr ein Kribbeln in den Bauch, als wäre dort eine ganze Armee Ameisen unterwegs. Verstohlen blinzelte sie zu ihm hinüber. Zwar war es durch den geschlossenen Fensterladen noch recht dunkel in seiner Kammer, doch das Morgenlicht, das sich seinen Weg durch die Risse im Holz und den Spalt zwischen Laden und Fensterrahmen bahnte, reichte aus, um sein Gesicht zu erkennen. Überrascht stellte sie fest, dass er nicht mehr schlief.
    »Du bist schon wach?«
    »Guten Morgen. Ja, ich bin mit dem Glockenschlag erwacht. Seitdem sehe ich dir zu, wie du schläfst«, sagte er zärtlich.
    »Du siehst mir zu, wie ich schlafe?« Sie musste lachen. »Das scheint mir keine besonders interessante Tätigkeit zu sein.«
    »Da irrst du. Du bist sehr hübsch anzusehen, wenn du selig schlummerst.«
    »Und wenn ich wach bin?« Der Blitz traf sie wie aus heiterem Himmel, und sie gab ihm keine Gelegenheit für eine Erwiderung. »Mann in de Tünn, du bist doch nicht mit dem Glockenschlag zur sechsten Stunde erwacht, oder doch?«
    »Ich nehme es an. Es war schon hell draußen. Noch höre ich keine Fuhrwerke auf der Gasse, daher kann ich mir nicht vorstellen, dass es schon die siebte Stunde war.«
    Noch während er sprach, war sie von seinem Lager aufgesprungen. Es scherte sie nicht, dass er sie in aller Ruhe nackt betrachten konnte. Sie hastete zu ihrem Kleid und fingerte daran herum, bis sie die eingenähte Tasche zu fassen bekam.
    Vitus stützte sich auf seine Ellbogen und beobachtete ihr Treiben ebenso verwirrt wie amüsiert.
    »Das Licht, ich muss das Licht anzünden. Heilige Mutter Gottes, wenn es nur nicht schon zu spät ist!« Damit rannte sie, das Wachslicht, das Felding ihr gegeben hatte, in einer Hand, das Kleid unter den Arm geklemmt, hinunter in die Stube. Sie musste es schleunigst anzünden. Als es brannte, kam Vitus herein.
    »Kannst du mir erklären, was los ist?«
    Sie schlüpfte in ihr Kleid und rief darunter hervor: »Felding hat mir das Licht gegeben und

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