Die unsichtbare Handschrift
Schleswig-Holstein«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. »Ich darf mal zitieren? Wer in oder auf einem Grundstück Kulturdenkmale entdeckt oder findet, hat dies …«
»Was ist denn der Unterschied zwischen entdecken und finden?«, unterbrach er sie.
»Costas!« Sie funkelte ihn streng an, musste jedoch schmunzeln. Dieses Behördendeutsch war wirklich eine Sprache für sich. »Also, der hat dies unverzüglich der oberen Denkmalschutzbehörde mitzuteilen. Das war jetzt die verkürzte Fassung. Sonst fragen Sie mich nämlich noch, was mit all den anderen komplizierten Formulierungen gemeint ist. Und in Absatz 2 heißt es übrigens, dass die Verpflichtung ferner für den Eigentümer des Grundstücks besteht.«
»Ist ja auch egal, jedenfalls dachte ich, fragen kostet nichts. Außerdem wollte ich gar nicht so eine olle Schüssel haben, sondern etwas viel Schöneres, was mein Restaurant sehr schmückt.«
»Und das wäre? Herrje, Costas, nun spannen Sie mich doch nicht länger auf die Folter.« Sie sah sich um und lachte. Das war ja wirklich eine drollige Geschichte.
»So ein Papier«, sagte er begeistert.
»Papier?«
»Na ja, so eins, wie Sie gefunden haben.«
Sie ließ die Hände, auf die sie ihr Kinn gestützt hatte, fallen und hätte beinahe das Weinglas umgestoßen, das noch immer halb gefüllt vor ihr stand.
»Die haben hier ein Pergament gefunden?«
»Ja.«
»Und das haben die Ihnen überlassen? Das glaube ich niemals.«
»Nein, natürlich nicht das Original. Die haben mir aber eine Kopie gemacht, die wirklich schön geworden ist. Auf dickem gelblichem Papier. Sieht richtig echt aus. Das Ganze habe ich in einen goldenen, verschnörkelten Rahmen gesetzt.« Er formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. »Sieht sehr edel aus«, versicherte er ihr.
Eine Kellnerin trat an den Tisch und bat Costas, kurz in die Küche zu kommen. Zunächst versuchte er sie abzuwimmeln, besann sich dann aber doch.
»Ich bin gleich zurück.« Weg war er.
Sie trank einen großen Schluck Wein. Das war ja eine Überraschung. Sie war wirklich gespannt, das Schriftstück einmal sehen zu dürfen. Immerhin gehörte die Fleischhauerstraße, das ehemalige Johannisquartier, zu den ersten bebauten Gebieten der Stadt. Es konnte sich also um ein Dokument aus der Gründerzeit handeln. Sie wunderte sich, dass sie noch nie etwas von diesem Fund gehört hatte. Wo mochte das Original gelandet sein? Wahrscheinlich war es nichts von Bedeutung, vielleicht eine mittelalterliche Einkaufsliste. Sie schmunzelte. Was sie wirklich nicht verstand, war, dass diese Kopie in dem edlen Rahmen, wie er vollmundig erzählt hatte, nicht im Restaurant hing. Vielleicht schmückte er damit sein Wohnzimmer, aber es hätte deutlich besser zu ihm gepasst, das gute Stück hier zu präsentieren, wo seine Gäste es auch sehen können. Und hatte er nicht von etwas Schönem gesprochen, das sein Lokal schmückt? Sie konnte es wirklich kaum mehr erwarten, dass er sie endlich aufklärte.
Er kam zurück, setzte sich aber nicht wieder. »Entschuldigung. Der Ofen wollte nicht so, wie meine Mitarbeiter wollten.« Er lachte.
»Würden Sie mir Ihre Kopie bei Gelegenheit mal zeigen?«
Er nickte eifrig. »Das hatte ich schon so lange vor. Sie wissen bestimmt, ob es wertvoll ist. Vor allem würde ich doch so gern wissen, was draufsteht. Aber diese komische Schrift kann ja kein Mensch lesen.«
»Das können mehr, als Sie vielleicht glauben.«
»Kommen Sie, wir müssen eine Etage hinaufgehen. Sie hängt in dem Raum, den ich meistens für Feiern herrichte, Hochzeiten, Geburtstage, so etwas.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie so einen Raum haben.«
»Sie haben ja auch noch nicht geheiratet.«
»Gott bewahre!« Sie lachte, während sie hinter ihm her die Treppe hinaufstieg. Sie betraten einen großzügigen Raum, in dem in der Mitte gerade eine lange Tafel aufgebaut war. Christa staunte. Derartige Räumlichkeiten hatte sie hier tatsächlich nicht vermutet. Das kam davon, dass sie meistens auf ihrem Stammplatz auf der Galerie saß.
Er steuerte auf die grob verputzte Backsteinwand an der Stirnseite zu.
»Hier ist mein ganzer Stolz!« Als hätte er es mit einem rohen Ei zu tun, nahm er den etwas sehr goldenen Rahmen von der Wand.
»Darauf können Sie wirklich stolz sein«, flüsterte sie. Sooft sie solche Dokumente auch schon gesehen hatte, versetzten sie sie doch immer wieder in Begeisterung und erfüllten sie mit Ehrfurcht. Wie viele Menschenleben waren vergangen,
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