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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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vermissen.« Esther legte ihm eine Hand auf den Arm. »Danke, Kaspar, du bist mein Held.«
    »Nein, nein, nein, so lasse ich mich nicht abspeisen. Was ist mit Reinhardt? Was ist im Skriptorium geschehen? Ich weiß nicht einmal, warum ihr hier herumrennt, anstatt dafür zu sorgen, dass der Bote das Dokument in Empfang nehmen kann.«
    »Pssst«, machte Esther entsetzt. Wie konnte er nur so laut über Dinge sprechen, die besser niemand zu Ohren bekam?
    »Geh zurück an deine Wachstafel«, drängte Vitus ihn. »Esther wird dir den Weg erklären, dann kommst du, wenn du dein Tagewerk beendet hast, nach.« Bevor er protestieren konnte, fuhr er fort: »Dann sollst du auch alles erfahren, was sich heute zugetragen hat.«
    »Kommt nicht in Frage«, beharrte er und kratzte sich am Kopf, dass die roten Locken nur so wogten. »Ohne mich wäre euch dieser fette Fisch erst gar nicht ins Netz gegangen. Ich begleite euch.«
    »Dann sind wir schon zu viert. Der Müller wird nicht gerade begeistert sein«, gab Esther zu bedenken. Sie hoffte sehr, ihren Bruder überreden zu können, denn es würde schon kompliziert genug werden, Norwid alles zu erklären. Gleichzeitig Kaspar ins Bild setzen zu müssen machte die Sache nicht gerade leichter.
    »Ob drei oder vier, was spielt das für eine Rolle?«
    Sie seufzte und warf Vitus einen Blick zu. Der verlor allmählich die Geduld und nickte kaum sichtbar.
    »Also schön«, gab sie nach. »Was wirst du Gebhardt sagen?«
    »Ich sage, dir ist nicht wohl, und ich muss mich um dich kümmern.« Er strahlte sie an. »Er mag dich. Wenn es zu deinem Besten ist, wird er mich auf der Stelle gehen lassen.«
    Sie nickte, er machte auf dem Absatz kehrt und sauste in die Baracke, in der der Dombaumeister sein Kontor hatte.
     
    Sie hatten etwa die halbe Strecke hinter sich gebracht. In der Ferne zeichneten sich bereits die Spitzen der Getreidemühle gegen den grauen Himmel ab. Kaspar hatte beinahe unablässig Fragen gestellt, bis Vitus einmal die Stimme erhoben hatte. Seitdem sagte er kein Wort mehr. Der Gefesselte sprach ohnehin nicht mehr. Er bemühte sich um eine aufrechte Haltung und hielt eisern Schritt mit seinen unerwünschten Begleitern. Sein etwas schleppender Gang und das Zucken, das hin und wieder über sein Antlitz huschte, verrieten jedoch, wie schwer es ihm fiel. Im Skriptorium war es düster gewesen. Erst jetzt konnte Esther sein Gesicht genau erkennen. Es war das eines bereits recht alten Mannes, mit knochigen Wangen, trockenen, leicht bläulichen Lippen und einer Haut, die sie an Pergament erinnerte. Er spürte, wenn sie ihn ansah, und wendete ihr dann den Kopf zu, woraufhin sie sich jedes Mal eilig wegdrehte und die Wiesen und Felder betrachtete. Dort war ein Bauer mit Ochs und Pflug unterwegs, da halfen die Kinder eines anderen Bauern dabei, Steine vom Acker zu klauben. Einmal kam ihnen ein altes Reisigweib entgegen. Es ging gebeugt und schleppte seine schwere Last, den müden Blick auf den Boden gerichtet, tapfer Schritt um Schritt.
    »Ich habe nachgedacht«, meinte Vitus unvermittelt. »Wir sollten eine kleine Rast einlegen. Am besten dort drüben unter den ausladenden Ästen der alten Eiche.«
    Sie wollte widersprechen, denn so schrecklich lange waren sie nicht unterwegs, und es würde auch nicht mehr lange dauern, bis sie ihr Ziel erreichten. Doch sie besann sich. Der Alte konnte eine Pause gewiss gebrauchen. Obendrein gab es keinen Grund zur Eile, und sie selbst war auch ein wenig erschöpft. Kaspar schmollte ohnehin und stapfte missmutig hinter ihnen her.
    »Setzt Euch«, befahl Vitus dem Gefangenen. Der gab keinen Ton von sich, ließ sich aber gehorsam ins hohe Gras fallen. Er lehnte sich an den Stamm des mächtigen Baums und starrte in die Ferne.
    »Wer seid Ihr? Warum seid Ihr hinter mir her gewesen?« Esther fand einen flachen Erdhügel, auf dem sie sich niederließ. Kaspar plumpste neben ihr ins Gras, und Vitus hockte sich zu ihnen.
    »Wer sagt Euch, dass ich hinter Euch her war? Ich bin gekommen, um eine Schriftrolle abzuholen. Nicht mehr und nicht weniger. Ihr wart vor mir da und habt den Schreiber getötet.«
    »Was?« Kaspar fiel die Kinnlade hinunter, seine Augen waren vor Entsetzen geweitet, sein Blick wanderte rasch von dem Fremden zu Esther, weiter zu Vitus und wieder zu Esther, bei der er haften blieb. Sie hatte auf der Stelle ein schlechtes Gewissen, denn sie hätte ihm diese böse Nachricht schon früher und schonend beibringen müssen.
    »Es ist wahr«, sagte sie

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