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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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gründlich ausgewählt, jeder Einzelne. Dieser Dom wird prachtvoll werden, der Stolz der ganzen Stadt und ein einziges Lob auf unseren Herrn.« Mit glänzenden Augen sah er hinauf in den Himmel, als wären die Doppeltürme, die sich erst abzeichneten, bereits fertig gemauert.
    »Gewiss verlangt diese Aufgabe nicht nur ein beträchtliches Können in der Konstruktion und Planung, sondern Ihr müsst Euch sicher auch um allerlei Dokumente und Unterlagen kümmern.«
    Dem dicken Baumeister war anzusehen, dass ihm Esthers Rede schmeichelte. Er wippte selbstgefällig auf den Zehenspitzen, wobei die vorderen Ränder der Trippen im Unrat der Straße versanken. Mit der einen Hand fuhrwerkte er weiter mit dem Hölzchen in seinem Gebiss herum, die andere vergrub er tief in der Tasche seines Mantels.
    »Das ist wahr«, stimmte er ihr zu. »Bischof Bertold erwartet regelmäßig Bericht über den Fortschritt der Bauarbeiten, Listen sind aufzusetzen, damit das Material für die nächsten Schritte herangeschafft ist, wenn es gebraucht wird. Du hast recht, Mädchen, es gibt immer viel zu tun. Manchmal weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht.«
    Sie ignorierte, dass er kaum zu verstehen war mit seinen dicken Fingern und dem Hölzchen zwischen den Lippen, und sagte unbeirrt: »Und dann wünscht Ihr Euch, jemand könnte Euch etwas abnehmen!« Sie strahlte ihn an.
    Für einen Augenblick verlor er glatt die Fassung, was ihm gewiss nicht häufig passierte. Er starrte sie mit aufgerissenen runden Augen an. Lange dauerte seine Überraschung jedoch nicht. Schon prustete er los, ließ den Span sinken und lachte, dass sein runder Bauch auf und nieder hüpfte.
    »Du bist doch nicht hier, um nach Arbeit zu fragen? Ein Mädchen will einen Dom bauen, das stelle sich einer vor«, brachte er heraus, als er sich wieder beruhigt hatte.
    »Aber nein.«
    »Schön, vielleicht willst du ihn nicht allein bauen, mir aber Aufgaben abnehmen. Schon das ist höchst erheiternd.«
    »Es geht ja nicht um mich«, erklärte sie. »Ich spreche für meinen Bruder Kaspar. Und er will auch gewiss keinen Dom bauen. Er ist der beste Schreiber der Stadt, müsst Ihr wissen. Nicht weit vom Salzhafen hat er ein kleines Skriptorium. Keiner schreibt Euch die Berichte für den Bischof schneller und besser.«
    »Ich bin selbst des Schreibens mächtig. Warum soll ich einen dafür bezahlen, das für mich zu übernehmen?« Er begann erneut das Hölzchen zwischen seine Zähne zu schieben.
    Esther überlegte rasch, dann sagte sie: »Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt, dass Ihr des Schreibens mächtig seid. Ihr seid ein kluger Mann. Aber bedenkt, wie viel Zeit es Euch ersparen würde. Ihr könntet einen Eurer Männer schicken, der meinem Bruder den Bericht diktiert. Oder noch besser, Kaspar kommt zu Euch und notiert jedes Eurer Worte, während Ihr hier auf der Baustelle seid, vermessen und Anweisungen geben könnt.« Sie hielt den Atem an und beobachtete seine Miene. War es ihr gelungen, ihn zu überzeugen?
    »In der Tat, das wäre nicht dumm«, murmelte er.
    »Zwei Aufgaben in derselben Zeit zu erledigen, das nenne ich wahrhaftig nicht dumm. Wie ich hörte, ist einer der Baumeister, die mit dem Rathaus beauftragt sind, bereits auf die gleiche famose Idee gekommen …«
    Er wurde hellhörig. »Ach ja? Soso … Nun, ich will es mir überlegen«, meinte er endlich.
    Esthers Herz hüpfte vor Freude.
    »Wo, sagtest du, finde ich deinen Bruder?«
    Sie beschrieb ihm den Weg zur Depenau, jener Gasse, in der das Skriptorium lag. Dann fügte sie hinzu: »Aber was sollt Ihr Eure kostbare Zeit vergeuden und durch die halbe Stadt laufen? Überlegt es Euch, und ich bin morgen wieder zur Stelle und frage Euch nach Eurer Entscheidung.«
    Er nickte. »Vortrefflich, Mädchen, vortrefflich.« Er ließ den Span zurück in den Lederbeutel gleiten. »Also dann, bis morgen.«
    »Bis morgen. Danke, Herr, danke!« Sie wirbelte herum. Kaspar würde Augen machen, wenn sie ihm von ihrem Besuch an der Dombaustelle und dem glücklichen Verlauf des Gesprächs berichtete. Schon war sie auf dem Weg in das Skriptorium. Dann fiel ihr aber ein, was Vitus gesagt hatte. Eine Hand wäscht die andere. Und sie war es gewesen, die den Sohn des Hufschmieds gerettet hatte. Der alte Geizkragen würde ihr die Bitte um ein paar rostige Nägel, für die er ihr sonst stets einen Pfennig abnahm, heute nicht abschlagen können. Entschlossen machte sie kehrt, um den Weg zum Hof des Schmieds einzuschlagen.
     
    Sie wich einer

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