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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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deine eigenen Geschäfte vorantreiben würdest«, ereiferte sich Vitus weiter.
    »Du bist wahrhaftig ungerecht«, ging Esther nun dazwischen, der der Anblick ihres Bruders, wie er mit hängenden Schultern und verzweifelter Miene dastand, das Herz zusammenzog. »Kaspar ist wenigstens im Skriptorium. Er steht bereit, falls jemand kommt und etwas braucht. Reinhardt dagegen treibt sich auf Baustellen herum. Und auch von Otto keine Spur.«
    »Skriptorium!« Vitus lachte verächtlich. »Ein Büdchen ist das hier bestenfalls. Otto hat ein paar eigene Schweine, um die er sich im Winter kümmert, wenn es hier kaum Arbeit gibt. Hast du das vergessen? Und Reinhardt treibt sich gewiss nicht herum, sondern bietet seine Dienste dort an, wo sie gebraucht werden. Was glaubst du, woher er plötzlich Aufträge hat?«
    Esther schwieg betroffen und senkte den Blick. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht.
    Vitus ging zu Kaspar hinüber, der kaum merklich vor ihm zurückwich. Er klopfte ihm versöhnlich auf die Schulter.
    »Nimm’s mir nicht übel, Kaspar. Ich weiß sehr wohl, dass du dir keinen leichten Beruf erwählt hast.«
    »Erwählt ist gut«, murmelte der.
    »Von euch Schreibern verlangt ein jeder, dass ihr richtig zu buchstabieren vermögt, in mehreren Sprachen möglichst. Alle Tage habt ihr den Gestank vom Tintekochen in der Nase, und das Kreuz wird euch bald krumm wie ein Flitzebogen. Und wie werdet ihr entlohnt? Du hast schon recht, einen Hungerlohn zahlt man euch.«
    Kaspar, froh, aus Vitus’ Schusslinie zu sein, nutzte die Gelegenheit und jammerte darüber, wie sehr der ganze Körper schmerzte, weil man sich ja nicht auf das Pergament stützen dürfe und in unmöglichster Haltung Stunde um Stunde ausharren müsse, wie groß seine Fähigkeiten waren, die doch von keiner Menschenseele ausreichend gewürdigt wurden. Esther hörte kaum zu. Hatte sie bisher geglaubt, es sei gut, wenn ihr Bruder stets in der kleinen Schreibstube anzutreffen sei, war sie sich dessen nun nicht mehr sicher.
    Vitus wechselte endlich das Thema und kam noch einmal auf die Rettung des kleinen Petter zu sprechen. »Da ist dir der alte Schmied nun wohl etwas schuldig, meine ich.«
    »Aber Vitus, ich kann doch nichts dafür verlangen, dass ich meine Christenpflicht getan habe. Jeder hätte den Bengel aus dem Wasser gezogen.«
    »Trotzdem sollte ihm das ein paar Nägel oder anderes wert sein, denkst du nicht? Du brauchst doch immer Eisen, um das Vitriol für die Tinte machen zu können. Eine Hand wäscht die andere, Esther. Daran ist nichts Schlechtes.«
     
    Als Esther an dem Abend in ihrem Bett lag, konnte sie keinen Schlaf finden. Zu vieles ging ihr durch den Kopf. Zwar vermochte sie sich selbst nicht daran zu erinnern, wie sie vor vielen Jahren nach Lübeck gekommen waren, doch hatte Kaspar ihr die Geschichte so oft erzählt, dass es ihr vorkam, als wären es ihre eigenen Erinnerungen. Die Eltern hatten mit ihrem Sohn in Schleswig gelebt. In dem Ort, in dem Waren des gesamten Ostseeraums gegen die der nordwestlichen Länder, wie etwa Salz, Wein, Tuche oder Waffen, getauscht wurden, erging es ihnen nicht schlecht. Kaufleute aus Friesland, vom Niederrhein und anderen Gegenden trafen sich dort mit ihren Handelspartnern aus Dänemark und Schweden und solchen aus den slawischen Ländern. Für einen Schreiber wie den Vater gab es reichlich zu tun. Und doch sahen die Eltern ängstlich in die Zukunft. Sie beobachteten, wie die Bedeutung und die Macht der jungen Stadt Lübeck mehr und mehr wuchsen, Einfluss und Reichtum Schleswigs aber im gleichen Maße zurückgingen. So beschlossen sie, nach Lübeck überzusiedeln. Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Menschen damals zu dem Handelsplatz, von dem sie sich nicht nur Freiheit als Bürger der Stadt, sondern auch Wohlstand und zuverlässigen Schutz versprachen. Gleich nach Esthers Geburt wollte die Familie sich auf den Weg machen. So hatten die Eltern es gemeinsam beschlossen. Allein das Schicksal hatte andere Pläne, denn Esthers Mutter starb im Kindbett. Der Vater zog dennoch mit seinen beiden Kindern gen Lübeck, hatte er doch gehört, dass es dort reiche Kaufleute gab, die einem Schreiber eine feste Anstellung bieten konnten. Wenn es ihm gelänge, eine solche Anstellung zu ergattern, wäre er in der Lage, eine Haushälterin einzustellen, die sich dann auch um die Kinder, vor allem um das kleine Mädchen, kümmern konnte. Mit ihrem Hab und Gut waren sie sieben Tage unterwegs. Sie hatten Lübeck

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