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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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nichts, sondern legen diese Abschrift ganz offen vor. Und der Kaiser ist des Lesens mächtig. Er gehört nicht zu den vielen gekrönten Eseln, die mit Buchstaben nichts anzufangen wissen.« Vertraulich fügte er hinzu: »Es geht einzig um das Wohl unserer Stadt Lübeck. Daran habt Ihr doch keinen Zweifel?«
    »Den habe ich nicht«, entgegnete Marold. »Sehen wir, was die nächste Ratssitzung bringt. Viel Zeit haben wir jedenfalls nicht zu verlieren, bevor sich die Abordnung auf den Weg nach Parma zum Kaiser macht.«
    Esther hörte Schritte. Die beiden Männer verließen ihren abgeschiedenen Platz. Eilig machte auch sie sich auf den Weg, rannte beinahe los, um nicht doch noch von ihnen entdeckt zu werden. Sie ließ den Domplatz hinter sich, überquerte eine Gasse, eine zweite, in die dritte bog sie ein und sah im letzten Moment eine alte Frau, die vor einer Holzhütte mitten auf der Gasse stand, unablässig vor sich hin murmelte und die Hand ausstreckte, damit ihr barmherzige Menschen ein Almosen gaben. Esther wäre beinahe in die Alte hineingerannt. Immer mehr Menschen drängten sich täglich in Lübecks Straßen. Da war es geradezu sträflich leichtsinnig, sich dem Strom der sich sputenden Mägde und Botenjungen, der Hilfsarbeiter und Händler derartig in den Weg zu stellen. Esther war nicht die Einzige, die sich über das kleine gebückte Weib ärgerte. Auch andere schüttelten den Kopf und schimpften. Wie sie wollte auch Esther an der Greisin, unter deren dreckiger Haube schlohweißes Haar hervorlugte, vorbeieilen. Doch irgendetwas hielt sie auf. Was, wenn ein Fuhrwerk des Weges kam? Dies war schließlich keine enge Gasse, sondern ein breiter Weg, der ohne weiteres von einem Wagen befahren werden konnte. Die Pferde würden die Alte einfach niedertrampeln. So etwas kam vor. Esther hatte keine Zeit zu verlieren. Kaspar und das Skriptorium warteten. Aber sie konnte diese jämmerliche Gestalt – das Kleid war nicht minder fleckig als die Haube, Schuhe trug sie keine, sondern stand barfuß inmitten von Schlamm, Unrat und Kot – nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie fasste sich ein Herz und ging auf die Alte zu.
    »Geh beiseite, Mütterchen«, sagte sie freundlich, »sonst stößt du noch mit einem Gaul zusammen, der um die Ecke geprescht kommt.«
    Das Murmeln der Frau verstummte. Sie hob den Kopf. Esther erschrak. Noch nie zuvor hatte sie solche Augen gesehen. Sie sahen aus, als hätte jemand Milch in das Schwarze gegossen.
    »Ich helfe dir«, flüsterte Esther verwirrt und wollte nach dem Ellbogen der Alten greifen.
    Da zischte diese: »Ein Weibsbild, das lesen und schreiben kann, bringt Unglück!«
    Esther war wie vom Donner gerührt und zog ihre Hand zurück. Niemand konnte wissen, dass Kaspar ihr das Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Und niemand durfte es wissen, denn einer Frau wurden diese Kenntnisse nicht zugestanden. Es sei denn, sie lebte als Nonne in einem Kloster.
    »Du wirst bestraft«, wisperte die Alte mit einer Stimme, die klang, als müsste sie ständig ein eingerostetes Scharnier öffnen und wieder schließen, um die Worte herauszubringen. Auch sprach sie sie eigenartig aus, als hätte sie etwas im Mund. »Du kannst deiner Strafe nicht entrinnen!«
    Esther ließ sie stehen und hastete davon. Sie bog um zwei Ecken und lief bereits auf das einfache Gebäude zu, in der die Schreibstube untergebracht war, doch noch immer glaubte sie die knarzige Stimme zu hören, die ihr schlimme Strafe androhte.
     
    »Du siehst ja aus, als wäre der Leibhaftige hinter dir her.« Kaspar betrachtete aufmerksam ihren Umhang. »Immerhin warst du anscheinend nicht wieder in der Trave. Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet, als ich meinen Morgenbrei heute alleine löffeln musste.«
    »Einer von uns beiden muss ja tüchtig sein. Ich war beim Schmied«, log sie. Sie sah ihn an. Er hatte mal wieder vergessen, seine roten Locken in Ordnung zu bringen. Sie standen ihm wirr vom Kopf ab, als wäre er gerade erst seinem Bett entstiegen. Er sog die Oberlippe ein, wie er es meistens tat, wenn er ein wenig ratlos war. Esther hatte Mitleid mit ihm. Sie bedauerte, ihn so angefahren zu haben. So sehr hatte sie sich darauf gefreut, ihm die guten Nachrichten von der Baustelle zu bringen. Nur war sie jetzt vollkommen durcheinander. Erst dieses seltsame Gespräch, das sie angehört hatte, dann auch noch das unheimliche Weib, das Esther nie zuvor gesehen hatte und das dennoch ihr Geheimnis kannte. Sie musste eine Weile

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