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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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Magd aus, eilte um die Ecke und sah gerade noch den Domherrn Marold, wie er hinter einer Bretterwand der Baustelle verschwand. Sie hatte sich ganz gewiss nicht getäuscht. Der Domherr in seinem prächtigen Gewand mit üppigen Pelzbesätzen am Kragen und an den Ärmeln und mit einer großen Silberspange war kaum zu verwechseln. Mit einem Mal wurde Esther übermütig. Wenn ein Baumeister die Dienste ihres Bruders zu schätzen wusste, warum nicht auch der Domherr und Notar Marold? Seine tägliche Arbeit bestand doch ausschließlich aus dem Verfassen, Vervielfältigen und Lesen von Dokumenten und Verträgen. Der Gedanke, dass Marold womöglich einen Schreiber fest in Stellung nehmen konnte, beflügelte ihre Schritte. Sie bog um den mächtigen Teil des Doms, der bereits fertig in den Himmel ragte, und sah Marold mit einem Mann ganz nah an der Backsteinwand stehen. Sie kannte den anderen nicht. Sein schwarzer Mantel aus teurem Wollstoff, der ebenfalls mit Pelz abgesetzt war, verriet ihr jedoch die hohe Schicht, zu der er sich zählen durfte.
    Das wären zwei lohnende Auftraggeber für einen Schreiber, ging ihr durch den Kopf. Die Art und Weise, wie die beiden Männer dort beieinanderstanden, wie sie sich immer wieder umsahen, gefiel ihr nicht. Sie spürte Unbehagen in sich aufsteigen und wollte die Herren auch nicht in ihrer gewiss wichtigen Unterhaltung stören. Zögernd ging sie auf die beiden zu, denn wie sähe es aus, wenn sie jetzt kehrtmachte? Sie würde einfach langsam an ihnen vorbeigehen und sich in der Nähe aufhalten, um wenigstens Marold abzufangen, wenn das Gespräch beendet war.
    »He, was schleichst du hier herum?«, rief der Mann in dem schwarzen Mantel ihr zu.
    »Ich schleiche nicht, ich habe Erledigungen zu machen«, antwortete sie rasch. Sie zog ihren Umhang fester um ihren Leib und blickte zu Boden, als sie an ihnen vorbeiging.
    »Es war ein zweischneidiges Schwert, Waldemars Burgmannschaft davonzujagen«, sagte Marold gerade. »Wir müssen jetzt alles daransetzen, uns den Schauenburger vom Hals zu halten.«
    »Kein Zweifel, Marold, diesem Ziel gilt auch das Bestreben des Rates. Gerade darum ist es ja von so großer Bedeutung, dass der Kaiser unsere Rechte und Freiheiten bestätigt, und zwar mit bester Eisen-Gallus-Tinte auf Pergament!«
    Esther horchte auf und tat so, als würde sie hinter dem fertigen Gebäudestück abbiegen. In Wahrheit jedoch verbarg sie sich dort und lauschte, ob sie mehr von dem hören konnte, was die beiden redeten. Falls sie erfahren sollte, dass da ein guter Schreiber gebraucht wurde, konnte sie sogleich ihren Bruder vorschlagen.
    »So weit sind wir uns einig«, sagte Marold. Und düster fügte er hinzu: »Kaiser Friedrich weitere Rechte abzuringen steht auf einem ganz anderen Blatt.«
    »Seht es einmal so, Marold, über dreißig Jahre sind vergangen, seit Barbarossa uns die Urkunde geschrieben hat. Was ist heute wohl noch so, wie es vor dreißig Jahren einmal war? Nichts, gar nichts. Alles verändert sich ständig. Seht euch nur unsere prachtvolle Stadt an. Sie wächst, verändert ihr Gesicht. Und so muss es auch mit dieser Urkunde geschehen. Das ist nichts als eine Notwendigkeit, die der Fortschritt der Zeit von uns verlangt.«
    »Eine Notwendigkeit, die, als Notar gesprochen, auf schwankenden Beinen steht. Das wisst Ihr wohl.«
    Esther wurde heiß und kalt. Das, was sie da gerade anhörte, war keineswegs für ihre Ohren bestimmt. Sie musste fort, man durfte sie nicht erwischen, wie sie hier stand und lauschte. Aber ihre Beine waren wie in die Erde gewachsen, und sie spitzte die Ohren noch mehr, um weiteres zu erfahren.
    »Aber nein, bester Marold, der Rat will ja nur einige Formulierungen ein wenig verändern, den einen oder anderen Satz hinzufügen. Ihr solltet die Sache als Domherr betrachten, als Sohn der Stadt, nicht unbedingt als Notar. Gehört es etwa nicht zu den Aufgaben des Rates, das Stadtrecht zu ergänzen und zu entwickeln zum Wohle aller Bürger, die in Lübeck ansässig sind?«
    Marold antwortete nicht, sondern atmete nur laut und vernehmlich ein.
    »Bedenkt, dass der Kaiser die Abschrift des Barbarossa-Dokuments lesen wird, bevor er daraufhin eine neue Urkunde ausstellt. Wenn ihm nicht alles genehm ist, was er dort liest, dann streicht er es eben. So einfach ist das.«
    »Er könnte es lesen«, warf Marold ein. »Wird er es aber tun, vor allem gründlich tun? Das weiß keiner.«
    »Nein, aber anlasten kann uns das auch keiner. Wir verbergen schließlich

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