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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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auf und gab sie mit etwas Wasser in den Kessel, den sie über das Feuer hängte. Es dauerte nicht lange, bis der vertraute säuerliche Geruch durch den Raum zog. Schwach zunächst, dann wurde er immer beißender. Hin und wieder rührte Esther die Gallen um. Schon hatte das Wasser eine kräftige braune Farbe angenommen. Eine Weile wollte sie dennoch warten, bevor sie den Extrakt abfüllen würde.
    Die Tür ging auf, und Reinhardt trat ein. »Guten Tag, Esther. Immer tüchtig?«
    »Ich will doch hoffen, dass Kaspar bald wieder reichlich Tinte braucht. Also mache ich ihm einen ordentlichen Vorrat.«
    Er sah sich um. »Ist er heute nicht hier? Hat wohl bei einem Kaufmann zu tun, was?«
    »Nein, er macht Besorgungen.«
    »Besorgungen, aha.« Er nahm zwei Federkiele und ein Kuhhorn, in das er Tinte füllte. Das Horn verschloss er mit einem Leinenlappen und steckte es in eine Schlaufe an seinem Gürtel. »Ich werde in den nächsten Tagen am Rathaus zu finden sein. Es gibt dort einiges zu tun. Zwar wäre es mir lieber, ich könnte hier für den Baumeister schreiben, aber er will mich dort sehen.«
    »Für Kaspar gibt es dort nicht auch zu tun?«, fragte Esther. Immerhin war längst nicht sicher, dass auch der Dombaumeister einen Schreiber bezahlen würde.
    »Jeder ist sich selbst der Nächste, Esther. Ich bin froh, dass ich über den Winter komme.«
    »Es war nur eine Frage. Kaspar findet gewiss auch noch genug Arbeit.« Sie lächelte zuversichtlich.
    Reinhardt nickte ihr zu und verließ die kleine Schreiberwerkstatt. Esther mochte ihn, er war ein guter Kerl. Dass er zunächst an sein eigenes Auskommen dachte, war mehr als recht. Sie würde es auch nicht anders machen.
    Stechender Geruch füllte nun jeden Winkel des Raums. Es war Zeit, den Extrakt der Galläpfel abzugießen. Vorsichtig nahm sie den Kessel von der Feuerstelle und ließ die Flüssigkeit langsam durch ein feines Netz laufen, auf dem die festen Teile liegen blieben. Die Schale mit dem braunen Sud stellte sie ans Fenster, wo er bald abgekühlt sein würde.
    Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Gespräch zwischen Domherr Marold und dem Mann in Schwarz. Die Begegnung mit der alten Frau hatte sie so abgelenkt, dass sie es vollkommen vergessen hatte. Was war es eigentlich, was sie da mit angehört hatte, fragte sie sich. So recht begreifen konnte sie das nicht. Sie stand noch immer bei dem Fenster, das von einem grob gezimmerten Brett verschlossen wurde. Der Wind pfiff an dessen Seiten und durch einen Riss im Holz hindurch und vertrieb den intensiven Geruch des Gallenextrakts rasch. Auch kühlte er den Auszug so schnell ab, dass Esther nun schon den letzten Tropfen Vitriol zufügen konnte. Es sollte eine Abordnung aus Lübeck zu Kaiser Friedrich nach Parma reiten, um ihn etwas unterschreiben zu lassen, was für die Stadt von großer Bedeutung war, so viel immerhin hatte sie sich gemerkt. Während sie in dem kleinen hölzernen Gefäß rührte und zusah, wie die Flüssigkeit schwarz und sämig wurde, grübelte sie über die anderen Dinge nach, die sie aufgeschnappt hatte. Als es klopfte und im nächsten Augenblick die Tür aufging, fuhr sie erschrocken herum.
    »Mann in de Tünn, Vitus, hast du mich erschreckt!«
    Vitus’ sorgenvolles Gesicht hellte sich auf. »Du hast doch nicht etwa geträumt?«
    »Nein, ich habe nachgedacht«, verteidigte sie sich. »Beim Tintenmischen kann ich am besten nachdenken.«
    »Soso.« Er sah sich um. »Du bist allein?«
    »Ja, ich habe Kaspar zum Schmied …« Weiter kam sie nicht, denn Vitus war mit einem Schritt bei ihr, legte einen Arm um ihre Taille und küsste sie.
    »Vitus, wenn uns jemand sieht!«, tadelte sie ihn, nachdem er sie frei gegeben hatte. Ein Lächeln konnte sie sich dabei aber nicht verkneifen. Nur selten hatten sie die Möglichkeit, Zärtlichkeiten auszutauschen. Umso mehr genoss sie es jedes Mal. Ein ganzer Schwarm kleiner Käfer schien in ihrem Bauch zu tanzen, so kribbelte es.
    Er hockte sich auf eine Ecke des kleinen Tisches, der im dunkelsten Winkel der Werkstatt stand und zum Mischen der Tinte bestimmt war. Die anderen Plätze, an denen es Sonnenlicht gab, waren den Schreibern vorbehalten. Fasziniert sah er ihr zu, wie sie eine Messerspitze Alaun in die frische Tinte gab und wiederum rührte.
    »Hätte ich nur einen Tropfen Lavendel- oder gar Rosenöl, dann könnte ich der Tinte einen angenehmen Duft verleihen. Für die Schreiber ist es nicht gerade erfreulich, den ganzen Tag mit ihren Nasen über sauer

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