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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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Bruder sagen, dass Ihr ihn zu sprechen wünscht.«
    Er trat näher an ihren Tisch und schielte nach dem Stück Pergament. »Es ist niemand zugegen, nur Ihr«, flüsterte er.
    Erschrocken folgte sie seinem Blick. Was, wenn er die Buchstaben entdeckt hatte, die sie zuletzt geschrieben hatte? Doch da war nichts zu entdecken, die Buchstaben waren verschwunden. Das cremefarbene Material war sauber, als wäre noch nie ein Federstrich darauf geführt worden. Sie hatte es geschafft, die Tinte war endlich goldrichtig für ihren Zweck.
    »Gott sei es gedankt!«, hauchte sie.
    Er zog die Stirn in Falten und beobachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. Mit seiner spitzen Nase und den schmalen Lippen erinnerte er sie an ein Tier.
    »Es ist Euch also recht, dass ich Euch alleine angetroffen habe? Ihr gefallt mir. Doch bestimmt, Ihr gefallt mir sehr.«
    Sie war verwirrt. »Wie meint Ihr? Wirklich, ich … Lasst mich bitte wissen, ob ich meinen Bruder zu einer bestimmten Zeit in Euer Kontor schicken soll. Mehr kann ich nicht für Euch tun.«
    »Dessen bin ich mir nicht sicher. Nein, dessen bin ich mir gar nicht sicher.« Bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr er fort: »Ich komme in einer äußerst, nun, sagen wir mal brisanten Angelegenheit. Ihr seid ein Weib und versteht nichts von Politik, daher kann ich offen zu Euch sprechen. Von Marold, dem Domherrn und Notar, habt Ihr vielleicht schon gehört?«
    Sie sah ihn ängstlich an. Hatte er sie womöglich beobachtet, als sie vor Marolds Haus das Papier aufgehoben und eingesteckt hatte? Mit einem Schlag war sie wieder hellwach.
    »Den Namen hörte ich einmal, meine ich«, entgegnete sie vorsichtig.
    »Gewiss habt Ihr das. Nun, dieser Marold hat sich an mich gewandt, weil der ehrenwerte Rat der Stadt ihn damit beauftragt hat, ein Schreiben aufzusetzen, das für Lübeck von allerhöchster Bedeutung ist.«
    »So?« Konnte es Zufall sein, dass ein Fremder mit ebendiesem Thema ausgerechnet zu ihr kam? Natürlich, beruhigte sie sich selbst, es musste ein Zufall sein. Was sonst? Weder Vitus noch Reinhardt hatten etwas ausgeplaudert, da war sie sicher. Der Besucher konnte also nichts wissen. Außerdem sprach ja die ganze Stadt kaum mehr über etwas anderes. Ein Zufall also, nichts weiter.
    »Die Sache ist aber die, dass eben jenes Schreiben durchaus seine Tücken hat. Es könnte geschehen, dass eine hohe Persönlichkeit davon nicht besonders angetan ist und dem Verfasser einigen Ärger bereiten möchte.«
    »Wie unerfreulich für den Domherrn«, sagte sie leise.
    »Ganz recht, das ist es. Und genau darum kam er ja zu mir. Ihm ist nämlich bekannt, dass ich einen Schreiber beschäftige, der äußerst verschwiegen und sehr geschickt ist. Er fragte mich, ob nicht dieser Mann das Schriftstück für ihn aufsetzen könne.«
    Esther fühlte sich, als hätte ihr jemand einen gehörigen Schlag gegen die Brust versetzt. Dann war alles umsonst. Stunde um Stunde hatte sie jeden Strich, jede Wölbung von Marolds Schrift geübt, bis sie sie perfekt nachahmen konnte. Nur würde er gar nicht derjenige sein, den sie kopieren musste. Woher sollte sie eine Kostprobe des fremden Schreibers bekommen? Sie schwankte leicht und musste sich am Tisch festhalten.
    »Ist Euch nicht wohl?« Er schob Ihr einen Schemel zurecht. »Nehmt doch einen Moment Platz.«
    Sie ließ sich fallen. »Es geht schon«, sagte sie tonlos. Es war vorbei. Ihr Plan würde nicht aufgehen. Niemals. Sie musste ihn begraben. Und vielleicht war es auch besser so.
    »Wo war ich? Ach ja, er kam also zu mir, und selbstredend hätte ich ihm gerne jede Hilfe zukommen lassen, die mir nur zur Verfügung steht. Leider hat sich mein Schreiber jedoch kürzlich die Hand verletzt. Wann er wieder in der Lage sein wird, die Feder zu führen, ist noch ungewiss.« Er machte eine Pause. Esther hörte ihm kaum noch zu. »Ihr könnt Euch sicher ausmalen, in welch misslicher Situation ich mich befinde. Ich kann dem Domherrn doch seine Bitte nicht abschlagen. Darum bin ich auf die Idee gekommen, mich hier nach jemandem umzusehen, der ebenfalls verschwiegen und im Umgang mit Buchstaben begabt ist. Ich würde ihn über das übliche Maß entlohnen, versteht sich.«
    Langsam tauchte Esther aus einem undurchdringlichen Nebel auf. Was hatte er eben gesagt? Er suchte nach einem Schreiber, der das Dokument für den Rat aufzusetzen imstande war? Beinahe hätte sie laut aufgelacht.
    »Verstehe ich Euch recht, Ihr benötigt jemanden, der Euren Schreiber vertreten kann? Mein

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