Die unsichtbare Handschrift
führt Euch zu mir?«
Was er zu tun hatte, war richtig, betete sich Reinhardt im Geiste vor. Trotzdem war ihm elend zumute.
»Es ist so, das kleine Skriptorium, das Ihr ja bereits kennt, das teile ich mir mit zwei weiteren Schreibern.«
»Das ist mir nicht neu.«
»Gewiss, gewiss. Was Ihr aber nicht wisst, einer der beiden hat eine Schwester.«
»Faszinierend. Nur denkt Euch, ich kenne einen Mann, der hat zwei Schwestern! Was sagt Ihr nun?«
»Ich verstehe nicht.« Reinhardt war durcheinander.
»Du meine Güte, an Eurem Schädel scheint mir das Beste Euer Haar zu sein. Ich frage mich, ob Ihr der richtige Mann für mich seid. Wenn ich nur keinen Fehler gemacht habe.«
Reinhardt wusste nicht, warum er derartig angegriffen wurde.
»Sagt, was Ihr zu sagen habt. Ich bin in Eile.« Felding leckte die dicke Brotscheibe gründlich ab, trat ans Fenster und warf sie hinaus. Ein Straßenköter oder ein Schwein würde sich daran gütlich tun. Reinhardt lief das Wasser im Mund zusammen. Vielleicht, so hoffte er, hatte ein armer Tropf Glück, dass ihm der unerwartete Segen vor die Füße gefallen war.
»Was Ihr wissen solltet, ist, dass eben diese Schwester ähnlich wie Ihr eine Urkunde in Auftrag gegeben hat, die den Kaiser erreichen und ihm einen Satz unterjubeln soll, von dem sie sich Vorteile verspricht.« Felding wirbelte herum und starrte ihn an. Augenblicklich begriff Reinhardt, was er da von sich gegeben hatte. »Verzeiht, ich meinte es nicht so, wie es sich angehört haben mag. Ich wollte nicht etwa andeuten, dass Ihr dem Kaiser etwas unterjubeln wollt. Der Rat der Stadt will gewissermaßen …« Weiter kam er nicht, denn Felding schoss auf ihn zu.
»Seid Ihr betrunken, oder habt Ihr Euch eine Geschichte ausgedacht, um mir mehr Lohn aus der Tasche zu ziehen?«
»Aber nein, werter Herr«, gab Reinhardt betroffen zurück.
»Wie sollte ein einfaches Weib einen solchen Auftrag geben können? Nun gut, Ihr sagt, ihr Bruder ist auch ein Schreiber. Sie könnte ihn bitten. Wie aber sollte sie auf einen so glänzenden Einfall gekommen sein? Keine Frau versteht etwas von Politik, und es handelt sich hier um höchste Politik. Was hätte sie davon? Welche Vorteile könnte ein Frauenzimmer sich von dem Unterfangen versprechen? Und woher wollt Ihr überhaupt wissen, dass sie Derartiges im Schilde führt?« Stille. »Hä, hat es Euch die Sprache verschlagen?«
»Was wolltet Ihr wissen?«, fragte Reinhardt verwirrt, der damit gerechnet hatte, dass sich Felding auch die letzten Fragen selbst beantworten würde, wie er es davor getan hatte. Dann fiel es ihm ein, und er entgegnete: »Sie hat es mir selbst erzählt. Ich kenne Esther, seit sie ein kleines Mädchen ist. Sie vertraut mir. Glaubt mir, sie hat nichts Böses im Sinn. Im Grunde will sie diesen Satz nicht einmal für sich selbst auf das Pergament gebracht haben, sondern für einen Mann. Jedenfalls lässt sie bereits jemanden üben, damit dessen Schrift der von Marold auf das Haar gleicht.« Die Geschichte war heraus, dann konnte er auch gleich die Einzelheiten preisgeben.
»Interessant, interessant«, murmelte Felding vor sich hin und wanderte mit langen Schritten zum Fenster und wieder zurück zu seinem Schreibpult, wo der Soßenfleck inzwischen eingetrocknet war und eine Kruste gebildet hatte. »Wie, sagt Ihr, ist ihr Name?«
»Esther, sie heißt Esther. Sie ist eine gute Frau. Jedenfalls war sie es bisher. Ich kann mir auch nicht erklären, was sie dazu treibt. Aber sie will gewiss niemandem schaden.«
»Ich kann mir wohl denken, was sie treibt.« Seine Augen blitzten. »Sagtet Ihr nicht, sie tut das für einen Mann? Dann muss es wohl Liebe sein, die sie treibt.«
»Schon möglich, ja. So muss es sein. Ihr wisst ja, wie das ist mit der Liebe.«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Oh, ich …«
»Aber vielleicht ist es auch bloß die reine Fleischeslust. Ist sie eine recht schamlose Person?« Da war ein Glanz in seinem Blick, der Reinhardt Sorge bereitete.
»Nein, wo denkt Ihr hin? Sie ist ja noch ein Kind.« Mit einem Mal fiel ihm ein, wie sie errötet war, als er sie vorhin arglos geneckt und gefragt hatte, ob sie Unanständiges mit Vitus angestellt habe oder gern anstellen würde. War es möglich, dass sie sich zu einem lüsternen Weibsbild entwickelt hatte, ohne dass es ihm aufgefallen war?
»Ein recht einfallsreiches Kind mit sündigen Einfällen, wie mir scheint. Ich werde sie mir mal näher ansehen.«
»Ich bitte Euch, sie darf nicht erfahren, dass ich sie
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