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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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Bruder soll dieses Werk verfassen, von dem Ihr sagt, dass es Tücken hat, so dass der Verfasser womöglich Ärger zu erwarten hat?«
    »So ist es, liebe Dame, ich suche jemanden, dessen Lippen verschlossen sind, der mit Buchstaben hervorragend umzugehen versteht und der ein wenig Mut hat. Ihn will ich, wie ich sagte, äußerst freigebig dafür entlohnen.«
    Esther konnte ihr Glück nicht fassen. Der Herrgott selbst musste ihr diesen Mann geschickt haben. Nun war doch nicht alles umsonst. Im Gegenteil. Sie brauchten sich nicht mehr darum zu sorgen, wie die Tinte zu Marold gelangen konnte und sie ihn aus seinem Kontor weglocken sollten. Es stand nicht mehr zu befürchten, dass der Domherr, zurück an seinem Schreibpult, den Schwindel auf der Stelle bemerken würde. Es war beinahe so, als wäre Kaspar eben doch der Ratsschreiber. Gewiss würde es nun viel leichter sein, den Schwindel durchzuführen.
    »Ihr habt diesen Jemand gefunden, Herr!«, rief sie fröhlich und sprang auf. Im nächsten Moment zog erschreckende Schwärze vor ihren Augen auf. Sie fasste sich an die Stirn.
    »Ihr seid doch nicht krank?« Der Mann hatte nach ihrem Ellbogen gegriffen und stand ganz nah bei ihr. Nachdem die Schwärze sich verzogen hatte, sah sie in sein Gesicht und bemerkte, dass er sehr besorgt dreinschaute.
    »Nein, mir geht es gut. Mir geht es wahrlich gut!«
     
    Esther fühlte sich munter und erfrischt wie lange nicht. Sie würde Vitus einen Besuch in seinem Kontor abstatten, das in seinem Elternhaus in der Fleischhauerstraße untergebracht war. Hoffentlich traf sie ihn an. Nicht selten war er draußen am Hafen bei den Speichern oder bei der Verladung von Korn oder Mehl direkt an einem Schiff. Man konnte nicht vorsichtig genug sein. Einmal nicht aufgepasst, schon fehlte hier ein Pfund oder dort ein ganzer Sack. Sie überlegte kurz, ob sie runter zur Trave gehen und dort nach ihm schauen sollte, entschied sich dann aber anders. Ihn am Hafen auszumachen, in dem Gewirr von Trägern, die Lasten schleppten, von Männern, die Fässer rollten, und von Bötern, Lotsen, Tagelöhnern und anderen Arbeitsleuten, die verschiedenste Aufgaben zu erfüllen hatten, würde nicht einfach sein. Selbst wenn sie ihn dort erspähte, wäre es unmöglich, mit ihm zu reden. Sie wäre nur im Weg. Im Kontor dagegen konnte er sich sicher einen Moment für sie stehlen. Immerhin hatte sie eine wundervolle Nachricht zu verkünden.
    Es war ein herrlicher Tag mit klarer Luft, die noch recht kühl gewesen wäre, wenn die Sonnenstrahlen nicht bereits so viel Kraft gehabt hätten. Ein Vogelschwarm zog am blauen Himmel über sie hinweg. Sie lauschte einen Moment den Flügelschlägen und den gurrenden Rufen. Am Ende der Gasse fragte sie sich, ob sie den Weg an der Petrikirche vorbei nehmen und Reinhardt einen Besuch an der Rathausbaustelle abstatten sollte. Er hatte sie so eindringlich gebeten, auf sich achtzugeben, sie gewarnt, sich aus der Geschichte herauszuhalten, dass er über ihre Nachricht gewiss hocherfreut wäre. Andererseits würde sie nur stören. Der Baumeister hatte bestimmt ebenso wenig Verständnis für eine Arbeitsunterbrechung wie Meister Gebhardt von der Dombaustelle. Auch er konnte es nicht leiden, wenn Esther sich länger als nötig bei Kaspar aufhielt, dem jede Ablenkung nur zu willkommen war. Und es war auch kein guter Einfall, ihm zu sagen, dass Kaspar nun ganz offiziell diesen heiklen Auftrag bekommen würde. Nein, sie würde später noch Gelegenheit haben, Reinhardt zu beruhigen, ohne ihm jede Einzelheit erzählen zu müssen. Dennoch nahm sie den Weg über den Markt. Von dort war es nicht weit in die Fleischhauerstraße. Sie sah eine Gemüsefrau, die frischen Bärlauch feilbot. Daneben stand ein Junge, der zwei Hasen an den Mann bringen wollte. Sie hockten in ihrem winzigen aus Weidenzweigen gefertigten Käfig, schoben die weichen Näschen durch das biegsame Gitter und ergatterten einige Grashalme, die sich gerade erst aus der Erde geschoben hatten. Ein Stückchen weiter entdeckte sie Norwid. Er machte ein Gesicht, als hätte er soeben einen Krug sauren Wein geleert. Niemand sollte so verdrießlich dreinschauen, wie er es tat. Schon gar nicht an so einem schönen Tag. Sie konnte nicht anders, sie musste ihn einfach ein wenig aufheitern.
    »Seid gegrüßt, Norwid, Sohn des Müllers«, sprach sie ihn fröhlich an, als sie vor ihm stand.
    »Seid gegrüßt, Esther. Ich habe Euch gar nicht gesehen.«
    »Wie es scheint, habt Ihr eher den Leibhaftigen

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