Die unsichtbare Handschrift
zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Es gab nichts, was man von ihm wissen wollte.
Christa sah verstohlen auf ihre Uhr. Die Stunde, die sie eingeplant hatten, war längst um. Sie würde versuchen, die Fragerunde nun zu beenden und einen abschließenden Ausblick auf das zu geben, was sie in dieser Angelegenheit noch unternehmen wollte.
Da fragte eine Reporterin aus der dritten Reihe: »Ist es denn überhaupt möglich, dass die Beschuldigte getan hat, was dieser Kölner ihr vorwirft? Frauen konnten im Mittelalter doch gar nicht schreiben«, meinte sie. Die Dame mit den platinblonden Haaren war nicht gerade als Edelfeder bekannt. Es mussten andere Qualitäten sein, die ihr den Job als Ressortleiterin gebracht hatten.
»Das trifft heute auch noch auf einige zu«, rief ein Mann, der in der hinteren Reihe saß. Die Blonde schaute sich böse um, während alle anderen sich bestens amüsierten.
Christa ging nicht auf den Zwischenruf ein, sondern erklärte: »Das ist nur die halbe Wahrheit. Wir gehen davon aus, dass diese Esther eine Adlige oder eine Nonne gewesen sein muss. Dann wäre es nicht ungewöhnlich gewesen, dass sie schreiben konnte. Ich bin an der Sache dran, aber bisher konnten wir keine Esther ausfindig machen, die zu dieser Personengruppe gehört und zur fraglichen Zeit hier in der Hansestadt gelebt hat. Im Jahre 1226 hat man bei weitem nicht alles schriftlich festgehalten und dann auch noch dauerhaft aufbewahrt. Sollte sie zu einer adligen Familie oder zu einem bedeutenden Patriziergeschlecht gehört haben, stehen unsere Chancen nicht ganz so übel, dass ihr Name irgendwo auftaucht. Bedenken Sie aber bitte, dass wir dann auch noch einen Zusammenhang zwischen ihr und diesem Kaufmann finden müssen. Oder zumindest einen Hinweis auf ein Motiv, das sie dazu gebracht haben könnte, diese Vorlage zu fälschen. Handelt es sich um eine Nonne, sehe ich schwarz. Dann kommen wir unserer Esther wohl nie auf die Spur.«
»Ich habe gehört, dass während des Zweiten Weltkriegs und kurz danach viele Archivalien in Stollen von Bergwerken, zum Beispiel in Salzbergwerken, eingelagert waren.« Der Mann aus der letzten Reihe, der sich eben über die Kollegin lustig gemacht hatte, war aufgestanden. »In den Wirren der damaligen Zeit sollen nicht wenige Stücke in die Hände von Privatpersonen gelangt sein. Entspricht das der Wahrheit? Und würde es sich nicht lohnen, einen Aufruf zu starten, um nach historischen Schriftstücken zu fragen, die in Privathaushalten lagern, und so unter Umständen mehr über Felding und Esther herauszufinden?« Er setzte sich wieder und zückte seinen Schreiber.
»Es ist richtig, dass Unterlagen und kostbare Dokumente in Stollen in Sicherheit gebracht wurden. Und es stimmt auch, dass immer wieder welche auftauchen, die lange vermisst wurden.« Christa musste einen Schluck Wasser trinken. Ihre Kehle war rauh und schrecklich trocken vom vielen Reden. »Wenn man Glück hat, bieten die Personen, die auf die eine oder andere Weise in den Besitz solcher Stücke gekommen sind, diese einem Museum oder Archiv zum Kauf an. Viele scheuen diesen Schritt allerdings, weil sie Angst haben, Aussagen über die Herkunft machen zu müssen. Oder sie meinen, ihre Schätze steigen noch im Wert. Erschwerend kommt hinzu, dass vermutlich ohnehin nur ganz wenige historische Zeugnisse in Privatbesitz geraten sind. Ich halte es darum für vollkommen aussichtslos, aufgrund eines Aufrufs ausgerechnet etwas zu ergattern, das uns in dieser Sache weiterbringt. Ich möchte Sie aber auch nicht aufhalten, wenn Sie einen entsprechenden Hinweis in Ihren Artikel setzen wollen. Sie hätten eine ziemlich gute Geschichte, wenn einer Ihrer Leser uns doch helfen könnte.« Sie lächelte unverbindlich und sah zu Kayser, der kurz nickte. »Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse und natürlich für die vielen guten Artikel, die wir alle gern lesen werden.«
Ulrich wartete im Foyer des Rathauses auf sie.
»Ulrich, das ist eine Überraschung«, begrüßte sie ihn und streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich hoffe, eine angenehme.«
Sie lachte. »Absolut. Was machst du hier?«
Kayser trat zu ihnen und reichte ihm ebenfalls die Hand. »Guten Tag, schön, dass Sie kommen konnten. Für wen schreiben Sie, wenn ich fragen darf?«
»Das ist Ulrich …« Christa wollte ihn vorstellen, bemerkte dann aber, dass sie nicht einmal seinen Nachnamen kannte.
»Ulrich Dobsky«, stellte er sich selbst vor.
»Wir
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