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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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auftauchte.
    Kaspars Miene hellte sich auf. »Das ist eine gute Idee. Warum hast du das nicht gleich gesagt? Nach dem Quecksilber kannst du in den nächsten Tagen noch fragen.« Glücklicherweise hatte er sich auf den Weg gemacht, ohne eine Antwort von ihr abzuwarten. Wie sie befürchtet hatte, war seine Enttäuschung groß, als es am Abend nur Brei mit Rüben gab.
    »Nicht ein Fitzelchen Fleisch? Wie das?«, hatte er vorwurfsvoll gefragt.
    »Es hat nichts gegeben. Nur eine Schweineschnauze hätte ich bekommen können, doch der Preis war viel zu hoch. Der Mann hat ein halbes Vermögen dafür verlangt«, ereiferte sie sich.
    »Ich schinde mich von früh bis spät, bringe brav meinen Lohn nach Hause, und es soll nicht für ein paar Würste reichen? Was soll das für ein Leben sein, Esther? Das ist doch nicht recht!«
    »Versündige dich nicht, Kaspar. Wir haben ein gutes Leben. Es reicht immer, um satt zu werden, und wir sind gesund, haben unser Augenlicht und können auf unseren beiden Beinen laufen. Was brauchen wir denn mehr?«
    »Wurst!«
    Typisch Kaspar, gegen seinen Starrsinn war kein Kraut gewachsen.
    »Sieh dir den Baumeister Gebhardt an, der schaufelt jeden Tag Fleischberge in seinen Wanst, bis er beinahe platzt«, fuhr er fort. »Und was tut er dafür? Läuft nur herum, kommandiert andere, scheucht jeden, der sich nicht schnell genug für ihn dreht, und führt hochgestochene Reden.«
    »Willst du einen Dom bauen?« Er sog die Oberlippe ein und sah sie bockig an. »Na, also. Ich werde in den nächsten Tagen wieder zum Hofbauern gehen. Gewiss habe ich dann mehr Glück«, hatte sie ihn getröstet.
     
    Nun war sie schon den dritten Tag in der Schreibwerkstatt, aufgeregt, mit klopfendem Herzen und voller Angst. Einmal war Otto aufgetaucht und einmal Reinhardt. Der war eine geraume Weile geblieben. Immer hatte sie so tun müssen, als wäre sie schrecklich beschäftigt, immer hatte sie geradezu panisch die Tür im Blick behalten, ob nicht ausgerechnet jetzt dieser Felding hereinspazierte. Nun war sie allein und würde es, wie es aussah, auch bleiben. Draußen regnete es. Sie hatte den Fensterladen geschlossen, damit die Feuchtigkeit nicht hineinkam. Selten war ihr der kleine Raum so düster und so eng vorgekommen. Sie fühlte sich wie ein Tier, ein Reh vielleicht, das in den Wald gehörte, wo es den ganzen Tag laufen konnte, ohne an eine Grenze zu stoßen. Steckte man ein solches Tier in einen winzigen Käfig, in dem es sich kaum rühren konnte, musste es zugrunde gehen. Die Enge der Lehmwände schien sich auf ihren Körper zu übertragen. Der Brustkorb schnürte ihr den Atem ab, sie spürte ein Kribbeln, das jedoch nichts Schönes oder Angenehmes an sich hatte.
    Es klopfte, die Tür ging auf, ohne dass sie den Besucher hereingebeten hätte, und Felding war da.
    »Seid gegrüßt, Esther aus Schleswig!«
    »Ich grüße Euch, Josef Felding aus Köln«, gab sie misstrauisch zurück. Er schien wieder der ehrenwerte Herr mit dem glänzenden Benehmen zu sein, nur wusste sie es leider besser.
    »Wie Ihr wisst, streiche ich nicht gerne um eine Sache herum …«
    »… wie der Kater um den dampfenden Brei«, brachte sie den Satz für ihn zu Ende.
    Er stutzte, dann sagte er: »Ja, das ist richtig.« Er nickte, doch wie es aussah, fiel es ihm nicht so leicht, zur Sache zu kommen, mochte das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sein. »Ihr könnt schreiben. Gott der Herr wird Euch dafür strafen. Was soll ich mich darum scheren?« Er sah sich um und schüttelte den nassen Mantel. Offenkundig war er im Begriff, ihn auszuziehen und zum Trocknen an die Feuerstelle zu hängen, doch dann überlegte er es sich anders. »Für ein Frauenzimmer seid Ihr außerdem über die Maßen gewitzt. Ganz Lübeck spricht von dieser Urkunde, die man sich vom Kaiser erhofft, doch nicht einer hätte es gewagt, für sich ganz persönlich Vorteil daraus zu schlagen.« Er kam einen Schritt auf sie zu und zog die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen. »Zeigt mir Eure Hände!«
    »Was meint Ihr?« Sie verstand gar nichts.
    »Ihr habt Eure Hände auf dem Rücken. Zeigt sie mir. Ich will sie sehen.«
    Esther hatte die Angewohnheit, ihre Hände auf dem Rücken zu falten, wenn sie entsetzlich aufgeregt war. So konnte sie verbergen, dass sie in solchen Momenten mit den Nägeln der Zeigefinger an der zarten Haut um die Daumennägel herum so lange kratzte und riss, bis sie sich zu lösen begann. Es kam nicht oft vor. Als sie das erste Mal mit Vitus allein

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