Die unsichtbare Handschrift
entfernt, eine Nonne zu sein.« Er schlug sich auf die Oberschenkel und verbog sich höchst eigenartig. Dann beruhigte er sich wieder, strich Beinkleider und Wams glatt und richtete sich gerade auf.
»Es ist die Wahrheit«, beharrte sie.
»Hat Euch noch niemand verraten, dass ein Spaß nicht besser wird, wenn man ihn zweimal hintereinander macht?«
»Es ist kein Spaß«, sagte sie kaum hörbar.
»Beweist es!«, zischte er.
Sie schluckte. Natürlich, damit hatte sie rechnen müssen. Ganz langsam ging sie zu dem Brett hinüber, auf dem ihr Bruder seine Vorräte hatte. Sie nahm einen Federkiel und die Schale mit der Tinte, die sie zuletzt gemacht, aber noch nicht umgefüllt hatte. Damit ging sie zu dem Pult, an dem Kaspar üblicherweise arbeitete. Noch nie hatte sie den Platz eines Schreibers einnehmen dürfen. In diesem Augenblick hatte sie keine Freude daran.
»Hier!« Er hatte in sein Wams gegriffen und ein Stück Pergament hervorgeholt.
Esther tauchte den Federkiel in die Tinte. Die Spitze verursachte leise kratzende Geräusche auf der getrockneten Tierhaut, die ihr doch viel zu laut in den Ohren dröhnten. Eigentlich hätte man eine Lampe oder wenigstens einen Kienspan anzünden müssen, aber so fiel es ihr nicht gar so schwer, ihr Geheimnis zu lüften. Wieder und wieder tunkte sie das Schreibgerät in die dunkelbraune Flüssigkeit und malte Buchstabe um Buchstabe. Felding war ein wenig zurückgewichen und betrachtete das unheimliche Treiben, das ihm wie Hexerei erscheinen mochte, aus sicherer Entfernung. Als sie fertig war, stellte sie alles zurück, bevor womöglich noch jemand Zeuge ihrer Fähigkeiten wurde. Dann reichte sie ihm das Pergament. Darauf stand:
»Ja, Ihr könnt es mir glauben, ich bin des Schreibens mächtig.
Esther aus Schleswig«
Er hielt es mit spitzen Fingern an der äußersten Ecke.
»Heilige Mutter Gottes«, brachte er entsetzt hervor. Lange lähmte ihn der Schreck jedoch nicht. Hastig steckte er das Beweisstück ein.
»Damit habt Ihr mich in der Hand«, sagte sie. »Wenn Ihr mich verratet, ist mir eine Strafe sicher, die nicht gering ausfallen dürfte. Ihr habt also keinen Grund mehr, den Schauenburger ins Spiel zu bringen. Ihr wisst jetzt, dass ich von meinem Vorhaben Abstand nehmen werde, damit Ihr Euer Wissen für Euch behaltet.«
Mit schief gelegtem Kopf ging er um sie herum. Er schien noch nicht endgültig überzeugt zu sein. Esther verstand nicht, warum er noch zögerte.
»Es ist wahr, Ihr werdet dem werten Marold nicht mehr in die Quere kommen. Nur weiß ich nicht, ob mir das genügt. Der Einfall mit dem Schauenburger war gar zu glücklich.« Er kratzte sich die Nasenspitze. »Stellt Euch das nur einmal vor: Ich könnte dem Domherrn und der Stadt Lübeck zu Diensten sein, könnte sie gleichzeitig an den Feind verraten und sie vor diesem schützen. Und beide Seiten würden mich reich dafür belohnen. Gebt zu, das ist ein allzu verlockender Gedanke.« Wieder kratzte er sich an der Spitze seiner langen Nase. »Ihr dürft außerdem nicht außer Acht lassen, dass ich Euch vorhin noch den Hof gemacht habe. Bisher hatte ich kein Glück bei den Weibern. Der Himmel weiß, woran das liegt. Aber ich bin auch nur ein Mann aus Fleisch und Blut und habe Bedürfnisse. Es wäre reizend, wenn eine das Lager mit mir teilen würde. Noch dazu eine, die vorzeigbar und von einiger Leidenschaft ist.« Er ließ seinen Blick ungeniert über ihre Brüste und zu ihren Hüften gleiten, als würde er eine Ware betrachten, die er zu kaufen gedachte. »Ich bin noch immer der Meinung, dass Ihr eine schamlose Person seid, ein geiles Frauenzimmer, das mit großer Erfinderlust immer wieder neue fleischliche Reize ausprobieren möchte. Was könnte ein Mann sich mehr wünschen?«
Sie sah einen Glanz in seinen Augen, der sie schaudern ließ.
»Was führt Ihr noch im Schilde?«, wollte sie voller Angst wissen.
»Diese Frage stelle ich mir auch noch. Mit dem winzigen Schriftstück habt Ihr mir die Macht gegeben, Euch zu meiner Frau zu machen. Nur weiß ich nicht, ob ich das will. Ein Weib, das schreibt, ist nicht wenig unheimlich, wenn es nicht im Kloster unterrichtet wurde. Womöglich fällt mir alles ab, wenn ich mich in Euren Schoß versenke.«
Ihre Wangen brannten. Sie konnte nicht fassen, dass er so zu ihr sprach, dass er offenbar tatsächlich darüber nachdachte, was er mit ihr alles anstellen wollte.
»Seid von nun an stets von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hier in der Schreibstube. Sobald ich
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