Die unsichtbare Handschrift
gewesen war, war es passiert. Und jetzt. Sie streckte die Hände vor und drehte die Handflächen nach oben, weil sie keine Ahnung hatte, worauf es ihm ankam.
»Schon gut, schon gut«, murmelte er und wirkte dabei fast ein wenig peinlich berührt. Seine Sicherheit hatte er jedoch rasch wieder. »Es wäre immerhin möglich gewesen, dass Ihr Euch mich vom Hals schaffen wolltet und mit einem Dolch oder einem Seil auf mich gewartet hättet.«
»Um Euch zu töten?«, fragte sie entgeistert. »Auf diesen Gedanken bin ich nicht gekommen.«
»Und, tut es Euch leid?«
»Nein. Wie übel Ihr mir auch mitspielen wollt, nichts kann so schlimm sein, dass ich mir dafür das ewige Höllenfeuer einhandeln möchte.«
»Seid Ihr sicher, dort nicht ohnehin zu schmoren? Ihr könnt schließlich schreiben!«
Sie schlug das Kreuz. »Gütiger Herr im Himmel, wäre ich von edler Herkunft, wäre das nichts Besonderes. Wie kann es eine Todsünde sein, nur weil meine Eltern einfache, aber ehrliche Leute waren, denen es nicht vergönnt war, mich aufwachsen zu sehen?«
Da war wieder dieser unergründliche Blick mit schief gelegtem Kopf.
»Ihr meint also, für Euch müsste das gleiche Recht gelten wie für eine Dame aus einem Patrizierhaus?«
»Nein, ich meine … So habe ich das nicht gemeint«, stotterte sie.
»Ewiges Höllenfeuer hin oder her«, verkündete er mit einem Mal fröhlich, »diese Entscheidung muss ich erfreulicherweise nicht treffen. Und Ihr könnt es nicht. Um mich darüber mit Euch auszutauschen, bin ich nicht hergekommen.«
»Nein, gewiss nicht.«
»Ihr sagtet, Ihr seid nicht einmal auf den Gedanken gekommen, mir einen Dolch in die Eingeweide zu rammen oder mir die Kehle abzuschnüren. Ich verrate Euch, worauf ich nicht gekommen bin. Ich hatte nicht den kühnen Einfall, etwas in diese Abschrift, die mir allmählich lästig wird, weil niemand mehr über etwas anderes zu reden scheint, zu schreiben, das mir einen lohnenden Profit verspricht.«
»So war es bei mir ja auch nicht.« Sie brach ab, denn sonst hätte sie Vitus doch noch verraten.
»Nein, nein, stellt Eure Geistesleistung nicht unter den Scheffel. Ich habe mir etwas überlegt.«
Sie trat einen Schritt zurück, um sich an der Wand halten zu können. In den nächsten Atemzügen würde ihr Schicksal besiegelt werden.
»Nun macht nicht ein so verzagtes Gesicht«, munterte er sie auf. »Ich finde Euch … Wie soll ich es ausdrücken? Ich finde Euch ein wenig unheimlich, aber auch reizvoll. Ja, ich möchte beinahe sagen, ich kann Euch leiden.«
Sie wusste nicht, was sie von seinen Worten halten sollte. Verschlagen wirkte er jedenfalls nicht, wie er da vor ihr stand und sie anlächelte.
»Ich habe eine Lösung gefunden, die uns beiden gut zupasskommt.«
»Ihr meint …?«
»Ich sagte Euch doch, ich bin ein ehrenwerter Kaufmann. Haltet Ihr mich für einen Schurken?«
Sie schwieg.
»O nein, das bin ich nicht. Ich mache Geschäfte, wie viele es tun. Und nun machen wir beide ein Geschäft, ja?« Er sah sie erwartungsvoll an. Seine Augen blitzten.
»Was soll das für ein Geschäft sein?«
»Hört zu!« Er zog sich einen Schemel heran, fuchtelte mit einer Hand, um ihr zu bedeuten, dass sie sich ebenfalls setzen sollte, und hockte sich hin. »Wenn ich richtig im Bilde bin, wollt Ihr den Lübecker Englandfahrern einen kleinen Vorteil verschaffen. Ihr wollt sie von einer Abgabe befreien, die in meinen Augen jedoch höchst angemessen ist. Die Leute von Köln und Tiel sind von dieser Abgabe befreit. Und seht, das soll auch so bleiben. Jedenfalls soweit es die Kölner betrifft, die Tieler mögen ruhig tief in ihre Säckel greifen.«
»Ihr sagtet, Ihr hättet eine Lösung, die uns beiden gut zupasskommt. Wenn ich Euch richtig verstehe, wollt Ihr jedoch Euren Vorteil gegenüber den Lübecker Englandfahrern nicht aufgeben. Was sollte mir also an Eurer Lösung zusagen?«
»Einmal davon abgesehen, dass Ihr nicht in der Position seid, an Euren Vorteil zu denken, solltet Ihr zunächst lesen, was ich mir ausgedacht habe.«
Er zückte eine Wachstafel und zeigte sie ihr. »Dieses hier werdet Ihr niederschreiben.« Sie las die Worte auf der Tafel. Nach seinem Wortlaut waren die Kölner zwar noch immer besser gestellt, die Steuern, die die Lübecker zu entrichten hatten, waren aber immerhin auf einen nicht gar so hohen Betrag festgelegt, wogegen die Kaufleute aus Tiel anteilig für das Gewicht ihrer Ware zur Kasse gebeten werden durften und damit den Lübeckern gegenüber
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