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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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Schwester des Schreibers? Du solltest dich auf den Markt stellen und das verkünden. Dann wird es Kaspar an Arbeit nicht mangeln.«
    Esther holte aus und schlug ihm ins Gesicht. Gleich nachdem das geschehen war, hielt sie ihre Hand, die brannte, als hätte sie damit in die Glut der Feuerstelle gegriffen. Sie war erschüttert, wusste nicht, wie ihre Wut sie so hatte lenken können. Gleichzeitig war sie über die Maßen enttäuscht. Vitus hatte mit ihr beinahe gesprochen wie mit einer Hure, kaum besser als wenige Tage zuvor Felding. Wie nur konnte er ihr das antun?
    Sie standen einander gegenüber, nur der Regen war zu hören, das leise Knistern des Feuers und ab und zu ein Tropfen, der von seinem Mantel auf den harten Lehmboden fiel. Muffig-säuerlicher Geruch lag noch immer in der engen Schreiberwerkstatt. Esther fröstelte. Es war feucht und klamm, und die Kälte, die ihr von Vitus entgegenschlug, jagte ihr eine Gänsehaut über den Leib. Sie wollte sich entschuldigen und auch ihn bitten, seine kränkenden Worte zurückzunehmen. Und dann wollte sie ihm alles erzählen. Sie würde ihm sagen, mit welchem Anliegen Felding gekommen war, dass er von ihren Schreibkünsten wusste, sie damit in der Hand hatte, welches Geschäft er ihr aber angeboten hatte. Doch Vitus kam ihr zuvor.
    »Es ist wohl besser, ich gehe jetzt«, sagte er mit einer leisen rauhen Stimme, die ihr Angst machte. Es klang so endgültig. »Ich bin froh, dass die Sache mit der Urkunde noch nicht vonstattengegangen ist. So hast du dich nicht für mich schuldig gemacht, und ich muss auch nichts tun, was gegen das Gesetz ist. Es wird mir auch so gelingen, es als Kaufmann wieder zu etwas zu bringen. Ich habe mein Dach über dem Kopf, und ich vermag ehrliche und anständige Geschäfte zu machen. Warum also sollte ich mit Furcht in die Zukunft blicken? Was ich habe, reicht für mich alleine allemal.«
    »Vitus, lass uns doch so nicht auseinandergehen!«, brachte sie flehend hervor.
    »Warum nicht? Kann sein, dass es besser so ist.« Er klang nicht böse, sondern unendlich betrübt. »Ist doch möglich, dass ich aus gutem Grund in genau diesem Augenblick hereingekommen bin, um zu erkennen, dass du nicht das reine Wesen bist, das ich immer in dir sah. Unter Umständen bewahrt diese Erkenntnis uns beide vor einer großen Dummheit, die wir uns zu tun hinreißen lassen wollten.« Er streckte die Hand nach ihr aus. Sie glaubte schon, er würde sie auf ihre Wange legen, wie es Felding getan hatte, doch dann zog er sie zurück, als könnte er sie nicht berühren, weil ein anderer eine unsichtbare Spur hinterlassen hatte. »Bei Kaspar weiß ich dich in guten Händen«, sagte er. »Leb wohl, Esther.«
     
    Ohne auch nur auf ein letztes Wort von ihr zu warten, drehte er sich um und verschwand in den Regen. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie stand eine ganze Weile wie gelähmt, den Blick auf die geschlossene Tür gerichtet. Ihr war, als wäre ihr Leben in den letzten Tagen vollkommen aus den Fugen geraten. Zunächst war da der kühne Plan gewesen, der sie, so meinte sie zumindest, noch enger zu Vitus und ihn zu ihr gebracht hatte. Dann das ungeheuerliche Auftauchen dieses Felding, das entsetzlich große Angst und Verzweiflung, zum Schluss aber auch Hoffnung in ihr ausgelöst hatte. Und jetzt war Vitus gegangen, hatte ihr Lebewohl gesagt. Der Mann, zu dem sie doch gehörte. Ihm hatte sie sich selbst versprochen mit Kaspars Segen. Sie hatte nicht einmal eine Idee, was sie ohne ihn anfangen, was aus ihr werden sollte. War es ihr bestimmt, als alte Jungfer zu enden, deren Leben darin bestand, für den Bruder Tinte zu kochen, das Essen zu bereiten, seine Wäsche und die kleine Hütte sauber zu halten? Oder würde Kaspar von ihr erwarten, dass sie einen anderen heiratete? Nein, das war ganz undenkbar. Felding hatte ihr den Hof gemacht. Ihn könnte sie womöglich umstimmen und davon überzeugen, dass eine Frau, die schreiben kann, keineswegs unheimlich war. Ganz langsam kam sie wieder zu sich. Was hatte sie da gerade gedacht? Niemals würde sie das Eheweib des Kölners werden. Aber was dann? Sie musste sich ablenken, etwas tun, irgendetwas erledigen, das sie immer tat, das sie kannte, das ihr vertraut war. Sie musste Halt finden, irgendwie. Sie würde die Stadt hinter sich lassen und zum Hofbauern gehen. Vielleicht konnte sie endlich ein wenig Fleisch bekommen, auf das Kaspar so sehnsüchtig wartete.

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    Lübeck, 15 . April 1226  – Kaspar
    I ch habe wirklich keinen

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