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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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noch einmal! Komm schon!«
    Der Stecken blieb standhaft.
    Trevir versuchte sich zu erinnern, was er auf dem Holzstapel getan hatte. Nun, er war verzweifelt gewesen. Meistens, wenn seine merkwürdigen Gaben sich geäußert hatten, war er zuvor von starken Gefühlen bewegt worden. Womöglich hatten diese Gemütszustände Reserven in ihm mobilisiert, die ihm bis dahin verborgen geblieben waren. Noch einmal konzentrierte sich der Hüter bei geschlossenen Augen auf den Stab.
    Mit einem Mal konnte er einen fahlen, knorrigen Schemen durch die Lider hindurch wahrnehmen. Trevir hielt den Atem an, befahl im Geiste: Komm!
    Und spürte plötzlich das Holz in seiner Hand.
    Überrascht riss er die Augen auf. Tatsächlich hatte der Stab ihm gehorcht. Aber wie? Trevir versuchte es gleich ein zweites Mal. Er bohrte den Stecken wieder in den Sand, lief diesmal sogar zehn Schritte weit und wiederholte sein stilles Rufen, aber jetzt behielt er ihn im Blick. Dadurch sah er zum ersten Mal, was er von diesem Tage an als »Versetzen« bezeichnen würde.
    Der Stab verschwand vom Strand und tauchte im selben Moment in seiner Hand wieder auf.
    »Das gibt’s ja nicht!« Das Herz des Hüters pochte heftig. Er konnte also nicht nur sich selbst versetzen, sondern vermutlich jeden beliebigen Gegenstand und… Trevir lief zu den vom Wasser umspülten Felsen. Hastig suchte er sie mit den Augen ab.
    Bald hatte er ein lohnendes Versuchsobjekt entdeckt. Wieder konzentrierte er sich.
    Und schrie.
    Eine Krabbe hing an seinem Finger. Blitzschnell hatte sie mit ihrer Zange zugepackt, nachdem sie aus dem Wasser versetzt worden war. Trevir schleuderte sie gegen einen Stein, dass der Panzer knackte. Damit war der erste Gang für sein Nachtmahl gesichert.
    Nun experimentierte er eine Weile wild herum, förderte ein paar Muscheln, weitere Krabben und sogar einen kleinen Fisch an den Strand. Das Versetzen glückte nur, wenn er mit dem betreffenden Objekt im Geiste Kontakt aufnahm. Er konnte Dinge auch »fortschicken«, wenn er sie zuvor berührte, wobei der Körperteil keine Rolle spielte – der Zeigefinger funktionierte ebenso gut wie der große Zeh oder die Nasenspitze. Sogar ein indirekter Kontakt reichte aus, wie Trevir atemlos feststellte, als er eine tote Möwe mit seinem Stab antippte und sie damit auf eine nahe Klippe beförderte. Die Zielgenauigkeit ließ noch zu wünschen übrig, aber mit ein bisschen Übung konnte er sich darin bestimmt noch verbessern. Große Gegenstände waren übrigens schwerer zu versetzen als kleine. Immerhin schaffte er es, einen Stein vom Gewicht seines eigenen Körpers über eine große Distanz zu bewegen. Sich selbst zu versetzen, wollte ihm dagegen nicht wieder gelingen, sooft er es auch versuchte. Dann hatte er eine Idee.
    Er richtete seinen Geist auf den Holzsplitter im linken Zeigefinger. Kurz darauf lag das garstige Ding auf seinem rechten Handteller.
    Zwei Tage später befand sich seine Laune auf einem neuen Tiefpunkt. Er wurde immer noch gesucht. Einmal war Trevir den Verfolgern nur durch einen beherzten Sprung in einen reißenden Fluss entkommen. Vier Dörfer hatte er durchquert und überall waren die schwarzen Reiter schon gewesen. Jede Frau und jeder Mann, die er ansprach, konnten Verräter sein. Wie sollte er auf diese Weise Mologs Schwarzes Heer oder die Verbotene Stadt finden?
    Während er an diesem Morgen, gestützt auf seinen Stab, ständig nach Reitern Ausschau haltend, über eine Landstraße wanderte, entdeckte er vor sich eine Turmspitze. Bald wuchsen die Silhouetten weiterer großer Bauwerke aus dem Horizont, untrügliche Vorboten einer Stadt. Trevir blieb stehen. Konnte er es wagen, sich dort blicken zu lassen? Auf seiner Reise nach Zennor Quoit, hatte er eine andere Route genommen; er kannte diesen Ort daher nicht. In einer Hinsicht waren jedoch alle Ansiedlungen gleich: je mehr Häuser, desto größer das Gewirr an Straßen und Gassen, in denen man sich unauffällig bewegen konnte. Er entschied sich, das Risiko einzugehen.
    Kurz vor Mittag erreichte er die Stadt. Sie hieß Bodmin und lag am Rande eines Moores. Im Notfall konnte er sich dorthin flüchten, dachte Trevir, während er das Tor passierte und sich alle Mühe gab, ein unverdächtiges Gesicht zu machen. Er wollte den Marktplatz aufsuchen, weil sich Leute nirgends so unauffällig beobachten und über Neuigkeiten befragen ließen. Vielleicht konnte er dort in Erfahrung bringen, wo Molog gerade sein Unwesen trieb.
    Mühelos fand Trevir den Weg zum

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