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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Anstalten, den kleinen Ledersack zu öffnen, um seine lange Hakennase hineinzustecken.
    »Wenn Euch Euer Augenlicht teuer ist, würde ich das lieber bleiben lassen«, knurrte Trevir leise. Sofort hatte er seinen Beutel zurück.
    »Und jetzt kommt der Höhepunkt«, posaunte der Zauberer, legte zur Steigerung der Spannung eine wohl bemessene Pause ein und zog den Dokumentenhalter hervor.
    Trevir fasste sich erschrocken an den Rücken, wo sein »Andenken« aus Zennor Quoit eben noch im Gürtel steckend unter der Tunika verborgen war. Er hatte weder bemerkt noch vermutet, dass dieser so genannte Magier ein so tüchtiger Taschendieb war.
    »Wollen doch mal sehen, welche Briefe ihm seine holde Maid geschrieben hat«, säuselte Styfic und schickte sich an, den Deckel mit dem roten Symbol des Dreierbunds vor aller Augen zu öffnen.
    »Halt!«, rief Trevir. Er konnte nicht abschätzen, ob der Zauberer wirklich so weit gehen wollte, aber schon allein das Herumzeigen des Behälters bescherte ihm eine Gänsehaut. Ängstlich blickte er in die Menge. Die Gesichter dort waren gespannt auf ihn gerichtet. Wer konnte schon sagen, ob darunter nicht auch das eines Spiones war? Er musste dieser absurden Vorstellung schnell ein Ende machen.
    »Ja?«, fragte der Magier. Für seine geckenhafte Miene erntete er einen kollektiven Lacher.
    Mit lauter Stimme übertönte Trevir den Lärm des Publikums. »Ihr solltet zunächst zeigen, was Ihr den anderen Zuschauern aus den Taschen gezogen habt. Sonst könnten sie am Ende glauben, Ihr wolltet sie bestehlen.«
    »Was?«, stieß der Große Styfic hervor.
    Trevir entdeckte einen feisten, kahlhäuptigen, sich in der Nase bohrenden Mann mit einem goldenen Siegelring. Sich dem Magier zuwendend antwortete er: »Nun, wollt Ihr etwa diesen güldenen Fingerreif für Euch behalten?« Er konzentrierte sich, langte mit der Hand unter Styfics Umhang und brachte sie mit dem glänzenden Schmuckstück des Glatzkopfes wieder hervor. Den Arm hoch erhoben zeigte er es zunächst der Menge und hielt es sodann mit strahlender Miene dem Besitzer entgegen.
    Dieser erstarrte mitten in einer Tiefenbohrung. Der Rest des Publikums verfiel in Gelächter oder erging sich in frenetischen Beifallsrufen. Der Große Styfic indessen schien noch blasser zu werden, obwohl das ob der Schminke eigentlich gar nicht möglich war.
    »Und dann wäre da noch das silberne Halsband einer anmutigen Dame«, fuhr Trevir fort, nachdem er sein nächstes »Opfer« ausgespäht hatte: eine dralle Matrone mit roten Pausbacken und einer weißen Kopfhaube. Wieder langte er unter den Mantel des Zauberers und versetzte im selben Moment die Kette in seine Hand. Mit der anderen entzog er Styfic den Dokumentenhalter. »Hier ist das prachtvolle Geschmeide«, verkündete Trevir großspurig und präsentierte sein zweites Beutestück.
    Nachdem die Matrone ihre Kette zurückerhalten und das Publikum applaudiert hatte, lieh sich Trevir noch das Holzbein eines auf dem Brunnenrand sitzenden Krüppels aus. Jetzt geriet die Menge ganz aus dem Häuschen. Trevir ließ das Bein von Hand zu Hand zu dem Versehrten zurückwandern und verlangte für ihn einen Extraapplaus. Sodann deutete er mit ausgebreiteten Händen auf den Magier und rief: »Der Große Styfic!«
    Damit glaubte er sich elegant aus der Affäre gezogen zu haben, doch als er sich davonstehlen wollte, hielt ihn Styfic am Ärmel fest.
    »Wie habt Ihr das gemacht, Bursche?«
    Trevir grinste. »Berufsgeheimnis.«
    Die dunklen, eben noch argwöhnisch schmalen Augen in dem käseweißen Gesicht wurden auf eine verstehende Weise rund. »Seid Ihr zurzeit gebunden?«
    »Wie bitte?«
    »Ob Ihr bei jemandem unter Vertrag steht?«
    »Nein.«
    Die Miene des Großen Styfic zerfloss förmlich in einem großen Lächeln. »Ab jetzt seid Ihr es: bei mir!«

 
     
     
     
    VIERTE WELLE

 
    10
    Der junge Wolf
    Trimundus
     
     
     
    Auf ihrem Weg sah die Truppe des Großen Styfic nicht nur bunte Marktplätze, sondern allzu oft auch Not und Elend. In Trimundus herrschte seit Generationen das Recht des Stärkeren und solche scherten sich kaum um das Wohl der Schwachen. Am grausamsten von allen war Molog, der seine Gegner einen nach dem anderen niedergeworfen hatte. Wer sich ihm nicht anschloss, den tötete er. So wurde er zum ungekrönten König der Kriegslords. Aber seit einiger Zeit war es still um ihn geworden.
    Trevir hatte in der Gauklertruppe Schutz vor den Häschern aus Zennor Quoit gefunden und das blieb eine ganze Weile

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