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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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drückte eine Taste mit der Aufschrift »-8«. Nachdem sich der Aufzug in Bewegung gesetzt hatte, lichtete sich Hobnuths düstere Reserviertheit für einen winzigen Moment. Ohne die Zähne auseinander zu bringen zischte sie: »Sie hätten keinen Moment später kommen dürfen.« Nach dieser für Topra alles andere als beruhigenden Feststellung würdigte sie ihn keines weiteren Blickes mehr.
    Das Atmen wurde ihm zur Qual, während der Lift sich ächzend in die Tiefe quälte. Die feuchtwarme Luft roch nach menschlichen Ausscheidungen. Hinter dem Eisengitter zog eine öde Folge aus verschmutztem Mauerwerk und erleuchteten Gängen vorüber: Mauer und Gang, Mauer und Gang… Je weiter es abwärts ging, desto heruntergekommener sahen die Flure aus. Bald ähnelten sie nur noch Bergwerksstollen. Abgesehen von der trostlosen Aussicht litt Topra vor allem unter den Geräuschen. Sie wirkten auf ihn, einen jungen Menschen, der fast sein ganzes Leben in freier Natur verbracht hatte, wie Messerattacken. Mehrmals zuckte er zusammen, wenn das Knarren oder metallische Knirschen des engen Blechkastens besonders aufdringlich klang. Einmal hörte er Schreie aus einem Stockwerk, das hinter dem Eisengitter vorüberglitt; als der Aufzug endlich ruckend zum Stillstand kam, hatte er immer noch eine Gänsehaut.
    »Da lang!«, erläuterte Hobnuth ihre weiteren Pläne und deutete auf einen langen Tunnel, der direkt aus dem Fels gehauen war. Unter der bogenförmigen Decke hingen Lampen wie schwach glimmende Skarabäen; die leuchtenden »Käfer« starrten vor Dreck und einige waren ganz erloschen. Topra hielt sich dicht hinter Hobnuth. Zu beiden Seiten des Ganges erblickte er rostige Stahltüren mit kleinen Klappen, die sich auf Augenhöhe befanden. Eine Zelle stand offen. Als er durch den Türspalt lugte, sah er die reglosen Beine einer Frau. Er schauderte. Das war doch nicht etwa…?
    Hobnuth ging weiter bis zum Ende des Ganges, wo sie vor einer Wand stehen blieb. Ratlos betrachtete Topra die massive Mauer aus Sandstein. Die Beamtin nahm einen kleinen schwarzen Kasten aus der Tasche, der über eine numerische Tastatur und einen Fingerabdruckscanner verfügte. Sie presste ihren Daumen auf das druckempfindliche Prüffeld, tippte zusätzlich eine Ziffernfolge ein und drückte einen kleinen grünen Knopf. Ein zischendes Geräusch erklang und die Felswand schob sich langsam zur Seite. Hobnuth wandte sich ihrem Begleiter zu.
    »Sie betreten jetzt einen Teil des Gefängnisses, den es offiziell gar nicht gibt. Er stammt aus der dritten Dynastie und ist das älteste Verlies des Millionenjahrhauses. Pharao Djoser und seine Nachfolger haben hier einige ihrer ganz speziellen ›Freunde‹ aufbewahrt. Der Trakt war vier Jahrtausende lang versiegelt. Ibah-Ahiti ließ ihn öffnen, um ihn wieder seiner alten Verwendung zuzuführen.«
    Topra grauste schon bei der Vorstellung von den Zuständen, die in diesem Verlies herrschen mussten. »Warum erzählen Sie mir das?«
    »Weil wir beide sterben werden, wenn irgendjemand von Ihrem Besuch erfährt.«
    »Ich habe überall Kameras gesehen. Wird man uns nicht entdecken?«
    Zum ersten Mal zeigte Hobnuths Gesicht so etwas wie eine menschliche Regung, einen Ausdruck, der am ehesten mit einem Lächeln vergleichbar war. »Die Kaiserin hat keine Kosten gescheut, in dem Geheimtrakt hochmoderne Überwachungstechnik einbauen zu lassen, aber die zum Kontrollraum führenden Datenkabel sind alt, die elektrischen Versorgungsleitungen teilweise sogar mehr als hundert Jahre. Kurz nachdem Sie sich vorhin angemeldet haben, ist die Überwachung bedauerlicherweise ausgefallen. Solche Pannen nimmt man hier sehr gelassen. Da ist noch eine andere Besucherin bei der namenlosen Gefangenen…«
    »Was? Aber das war nicht abgemacht…«
    »Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Sie werden es verstehen, wenn Sie erst dort sind. Ansonsten gibt es in dem Verlies nur eine Wachperson. Sie wird Sie nicht sehen und es wäre gut, wenn Sie es umgekehrt genauso halten. Wichtig ist, dass Sie in einer Stunde wieder hier bei dieser Tür sind, wo ich Sie abholen werde. Haben Sie mich verstanden? Eine Stunde!«
    Topra nickte.
    »Besitzen Sie eine Uhr?«
    »Nein.«
    Hobnuth stöhnte und löste ihre Armbanduhr vom Handgelenk. »Hier, nehmen Sie meine. Und jetzt gehen Sie. Im Sammelraum hinter dem Durchgang biegen Sie nach links ab. Dann laufen Sie direkt auf die Zelle zu.«
    Topras Blick lag auf dem Gesicht der Vollzugsbeamtin. Sie verzog keine Miene. Nach

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