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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Griffelhalter ein erstaunliches Geschick darin besaß, sich unsichtbar zu machen, bestanden Waris’ Qualitäten gerade im Gegenteil – ein Leibwächter musste Attentäter abschrecken, was er am besten tun konnte, wenn er gesehen wurde. Diesem Grundsatz folgend pflegte der General sich zwar aus dem Blickfeld seines Monarchen herauszuhalten, den Abstand zu ihm jedoch stets auf ein Minimum zu beschränken. So auch jetzt, als sich Isfet erhobenen Hauptes seiner Frau näherte.
    Eine Weile ließ der Pharao das Bild von Mutter und Kind auf sich wirken. Dann erst fragte er: »Wie geht es dir?«
    Ibah-Ahiti hielt ihm das in einem Strampelanzug steckende Kind entgegen und antwortete: »Hier ist dein Sohn, geboren zur rechten Stunde. Berühre ihn. Wiege ihn im Arm. Rieche ihn. Und sieh ihn dir genau an. Dann weißt du, was ich fühle: Die Dynastie ist gesichert.« Sie hätte kaum deutlicher verraten können, worum sich ihre Gedanken drehten.
    Isfet nahm das schlafende Neugeborene wie ein äußerst zerbrechliches Gut entgegen. Er schien zu wissen, dass man besonders Obacht auf das Köpfchen geben musste, und ging damit dementsprechend ungeschickt um. Nach einer Weile stand er über das Bett gebeugt wie ein Mann, der ein Dutzend roher Eier gleichzeitig in den Händen balanciert, und fing an zu grinsen.
    »Wie gefällt er dir, der kleine Prinz?«, fragte Ibah-Ahiti stolz.
    »Sieht ein wenig aus wie eine getrocknete Dattel.«
    Die Kaiserin wollte empört Einspruch erheben, überlegte es sich jedoch anders. Sie kannte den bisweilen skurrilen Humor ihres Mannes nur zu genau. Scheinbar ungerührt entgegnete sie: »Das gibt sich. Findest du nicht, er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten? Abgesehen von den Runzeln natürlich.«
    General Waris erlitt einen Hustenanfall.
    Isfet drehte sich unwillig zu ihm um. »Seid Ihr etwa erkältet, General, hier, im Mammisi?«
    Der Gefragte zog sich ein paar Schritte zurück, schüttelte den Kopf und hob die Hand. »Ich habe mich nur am eigenen Speichel verschluckt, Majestät. Ist gleich wieder in Ordnung.«
    Der Pharao widmete sich erneut seiner müden, doch zufrieden wirkenden Frau. »Die leitende Geburtshelferin berichtete mir, sämtliche Sterne der Nacht seien im Kreißsaal erstrahlt, als unser Sohn den Mutterschoß verließ. Ich finde, besser kann man es kaum ausdrücken.« Das Kind ein wenig vorstreckend fügte er hinzu: »Dafür wirst du in den Stand einer Göttin erhoben werden, meine Geliebte.«
    »Für die Mutter eines Gottes erscheint mir das nur angemessen.«
    »Manchmal frage ich mich, was du mehr liebst, Ibah-Ahiti: deinen Gemahl oder die Macht, die du durch ihn gewinnst.«
    Die Augen der Kaiserin sprangen für einen Moment zu dem Obersten der Leibwache, der versetzt hinter seinem Monarchen stand. Ibah-Ahiti brachte ein gequältes Lächeln zuwege, das keinen der beiden Männer ausschloss, und erwiderte an ihren Mann gewandt: »Ich liebe beide, mein Gebieter. Übrigens macht mich das ›Gesetz zur Bewahrung der Dynastie‹ im Falle deines Hinscheidens zur Regentin, solange kein volljähriger Thronfolger die Krone Baqats übernehmen kann. Mit der Geburt unseres Sohnes gewinne ich also nicht an Macht, sondern ich verzichte auf sie.«
    Das Gesicht des Pharaos wirkte für einen Moment wie eine Maske. Dann entspannte er sich und lächelte. »Immer wieder staune ich, wie ähnlich wir uns beide sind, meine Geliebte. Hast du dir noch einmal Gedanken über den Namen für unseren Sohn gemacht?«
    »Ja. Ich bleibe dabei. Er soll Aabuwa heißen.«
    Waris sog hörbar die Luft ein. Davon hatte er noch nicht gewusst.
    Der Pharao drehte sich zu ihm um und hob eine Augenbraue. »Ihr seid schockiert, mein Treuer?« Er lachte. »Mir ging es genauso, als ich zum ersten Mal ihren Vorschlag hörte. Aber Ibah-Ahiti ist keine gewöhnliche Frau und Mutter. Bei genauerer Betrachtung ist der Name ›Unterdrücker‹ – zumal im Majestätsplural, wie meine Gefährtin ihn gewählt hat – für einen Alleinherrscher durchaus angebracht: Der Pharao unterdrückt Gesetzlosigkeit, Sittenlosigkeit, Verleumdungen im Hinblick auf das Große Haus, aufrührerische Strömungen in der Gesellschaft…«
    »Aber Majestät!« Waris schnappte nach Luft. Selbst für ihn bedeutete es ein Wagnis, dem Pharao ins Wort zu fallen. »Aabuwa – ›die Unterdrücker‹ –, so werden seit alters ganz und gar unfreundliche Götter der Unterwelt genannt. Mal davon abgesehen, was das Volk über diese Wahl denken mag – findet Ihr nicht,

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