Die unsichtbare Pyramide
in die offizielle Anredeform für höhere Hofbeamte. »Was konnten Eure Leute in der Zwischenzeit herausfinden, General Waris?«
»Wir glauben, Gisas Versteck zu kennen. Jeden Augenblick werden es meine Elitesoldaten stürmen.«
»Gut. Sehr gut.«
»Was die Verfahrensweise mit den Entflohenen betrifft…«
»Darüber haben wir bereits gesprochen. Ihr kennt das Strafmaß für Verschwörung gegen das Große Haus. Schickt sie ins Totenreich. Desgleichen die Kinder der anderen Konkubinen. Sie verhöhnen meine Leibesfrucht.«
»Wie bitte? Aber davon war nie die Rede!«
»Habt Ihr nicht zugehört, General? In dem Gespräch mit meinem Gemahl ging es um die Sicherung der Dynastie. Die Zeiten ändern sich. Wenn man früher einen Bastard legitimieren konnte, wird man morgen womöglich schon das Gör einer Buhle auf den Thron heben. Ich werde das nicht zulassen.«
»Das Volk wird uns dafür hassen.«
»Es hasst die Pharaonen schon seit tausenden von Jahren. Und gleichzeitig liebt es sie, solange es nur satt ist und sich vergnügen darf. Gisa wagt es, einem Knaben das Leben zu schenken. Das ist Hochverrat. Sie hat Helfer. Und viele Sympathisanten! Wir dürfen diese Erhebung gegen das Große Haus nicht dulden. Glaubt mir, General Waris, bald wird die Niederschlagung dieser Rebellion nur noch eine Fußnote im Buch der Geschichte sein – es hat schon viele und weitaus blutigere Gemetzel gegeben. Geht jetzt und erteilt Eure Befehle.«
Waris zögerte.
»Gibt es noch etwas?«
»Auch wenn Ihr es nicht gerne hört, meine teure Herrin: Das Volk liebt Gisa. Ihre Schönheit wird in vielen Liedern besungen. Sollen wir wirklich auch ihr Kind…?«
»Versteht Ihr denn nicht, Waris! Gerade dieses Kind muss vor das Angesicht des großen Osiris treten – er wird ihm in seinem Totenreich einen angemessenen Platz zuweisen. Was allerdings die ›Blume vom Nil‹ anbelangt… Du magst Recht haben, was die Gefühle des Volkes betrifft. Gisa soll meine Gnade zu spüren bekommen. Lasst sie am Leben.«
»Wohin soll ich sie bringen?«
»Das Millionenjahrhaus hat viele verschwiegene Winkel. Ich überlasse es Euch, einen sicheren Platz für Gisa zu finden. Hauptsache, sie kann den Pharao nie wieder betören.« Ibah-Ahiti lächelte wie eine Hyäne. »Ich dagegen werde mir hin und wieder die kleine Freude gönnen, ihr dabei zuzusehen, wie sie in einem dunklen Kerker langsam verwelkt.«
Gisa fühlte sich unendlich müde. Die Entbindung hatte sie sehr geschwächt. Dreimal schon war Hobnaj in die Kammer des Wissens gekommen und hatte zum Aufbruch gedrängt, aber Wira, die Hebamme, stellte sich dem Riesen jedes Mal in den Weg. Ihre Argumente klangen immer sehr ähnlich.
»Du behauptest, Gisas Leibwächter zu sein. Warum bist du dann so erpicht darauf, sie umzubringen? Das könnte nämlich leicht passieren, wenn sie sich jetzt überanstrengt.«
»Also gut, noch eine halbe Stunde«, brummte der Nubier, nachdem ihm Wira zum vierten Mal eine Abfuhr erteilt hatte. Mürrisch ging er wieder auf den Gang hinaus, wo der spöttische Koch auf ihn wartete.
Wira kehrte zu ihrer Schutzbefohlenen zurück. Dazu musste sie ihr weites, fast bis zum Boden reichendes Gewand hochnehmen und mit nackten Beinen ein Wasserbecken durchwaten. Mitten in diesem Bassin befand sich eine quadratische Insel mit einem schwarzen Sarkophag aus Basalt. Darin beigesetzt sei der Überlieferung nach die Mumie Imhoteps, eines Universalgenies, das vor etwa viertausendsechshundert Jahren gelebt hatte und von den Baqatern als »Gott der Schreiber« verehrt wurde. Die Hebamme war allerdings nicht aus mystischen, sondern eher aus praktischen Erwägungen darauf gekommen, den Steinsarg mit Decken und sauberen Leinentüchern in ein Behelfsbett zu verwandeln. Außerdem hielt sie es für würdelos, ein Kind auf nacktem Boden zu gebären, desto mehr es sich dabei um den Sohn des Pharaos handelte.
»Wie geht es euch zwei?«, fragte sie und streichelte dem Knaben, der an Gisas Brust friedlich schlummerte, liebevoll den Kopf.
»Dem Jungen scheint nichts zu fehlen, aber ich könnte noch tausend Jahre hier so liegen.«
Die Hebamme nickte verständnisvoll. »Du hattest eine schwere Geburt. In der Klinik ist man für alle möglichen Komplikationen bestens ausgestattet, aber hier…«
»Du hast dein Bestes für uns getan, Wira«, unterbrach Gisa die um mindestens zehn Jahre ältere Frau. »Und das war mehr als genug. Nur wenige Hebammen wissen heute noch, wie man eine Frau durch eine
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