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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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unterbrach ihn Ibah-Ahiti. »Ich habe Euch von Anfang an auf den zeitlichen Aspekt dieser Geburt hingewiesen. Wir können nicht länger warten. Macht endlich den Pharaonenschnitt.«
     
     
    Nach alter Tradition war das mammisi der Geburtsort eines Gottes oder Königs. In neuerer Zeit verstanden die meisten Baqater darunter schlicht den Kreißsaal des Millionenjahrhauses. Schon Minuten nachdem Ibah-Ahiti ihren Befehl erteilt hatte, erlebte sie dort die Entbindung von ihrem Sohn. Sie hatte darauf bestanden, bei vollem Bewusstsein zu bleiben, nur ihr Unterleib wurde betäubt. Die baqatische Medizin war die fortschrittlichste von ganz Anx. Das Lichtskalpell des Operateurs arbeitete schnell und effizient. Niemand im Raum rechnete mit Komplikationen, nicht einmal eine Narbe würde den von Schönheitschirurgen perfekt modellierten Körper der Kaiserin verunstalten. Doch das Unvorhergesehene lauerte überall. Plötzlich schrie eine der Geburtshelferinnen auf.
    »Was ist los?«, fragte der im chirurgisch geöffneten Unterleib seiner Patientin hantierende Schepseskaf, sichtlich verärgert über den, wie er fand, schmählich unprofessionellen Auftritt des Personals. Aber dann sah der Arzt es selbst: Aus den Apparaten schlugen blaue Blitze. »Ein Kurzschluss! Sofort alles abschalten!«, brüllte er.
    Die Anweisung wurde umgehend befolgt, doch einen Moment lang schien die Technik sich zu sträuben, tauchte alles im Umkreis des Gebärstuhls in ein unwirkliches Licht. Sogar die Menschen glühten, als strömte eine Million Volt durch ihre Körper. Dabei spürte niemand Schmerz oder auch nur das geringste Kribbeln, sondern bestenfalls einen leichten Anstieg der Raumtemperatur. Als das seltsame Phänomen schließlich abgeklungen war, hörte man im Saal allseits erleichtertes Aufatmen. Die Kaiserin hob mithilfe einer Krankenschwester den Kopf, konnte jedoch vor lauter blauen Tüchern, Klemmen und blutigen Tupfern nicht viel erkennen.
    »Was ist mit dem Kind?«, fragte sie besorgt.
    »Das kann ich im Moment noch nicht sagen«, antwortete der Arzt. »Mir wäre es offen gestanden lieber, wir würden den Ersatzsaal nehmen.«
    »Entscheidet, was immer Ihr zum Wohle des Kindes für notwendig erachtet – aber tut es jetzt! Holt den Prinzen endlich heraus!«, zischte Ibah-Ahiti und ließ sich erschöpft zurücksinken.
    Doktor Schepseskaf erteilte den Befehl, die Kaiserin in den Nebenraum zu verlegen. In Windeseile wurden Kabel abgestöpselt, der inzwischen zur Liege umfunktionierte Gebärstuhl verwandelte sich in einen fahrbaren Untersatz. Der ganze Umzug dauerte nicht einmal fünf Minuten. Die Technik funktionierte wieder einwandfrei, die Anspannung ließ nach, die Entbindung konnte fortgesetzt werden.
    Wenig später war im Ersatz-Mammisi der heisere Laut eines neuen Lebens zu hören.
    »Holt den Vater des Kindes!«, befahl Ibah-Ahiti, noch ehe ihre Gebärmutter wieder zugenäht und die Haut darüber verschweißt war.
    Doktor Schepseskaf, der sich über das vorangegangene Gespräch mit General Waris seine eigenen Gedanken gemacht hatte, zögerte.
    Die Kaiserin reagierte ungehalten. »Hört Ihr nicht? Ich möchte dem Pharao seinen Thronfolger vorstellen. Richtet ihm das aus. Sofort!«
    Der Arzt gab die Anweisung an eine der Geburtshelferinnen weiter. Anschließend widmeten er und seine Assistenten sich wieder ihren Aufgaben.
    Die erschöpfte, aber zufriedene Mutter lag noch im Kreißsaal, das mittlerweile gewaschene und angezogene Kind an ihrer Brust, als Pharao Isfet erschien. Selbst der mächtigste Mann von Anx unterschied sich an einem Ort wie diesem nicht von seinen Untertanen: Er steckte – ein höchst ungewöhnlicher Anblick – in der blauen Ärzteeinheitsmontur. Gleiches war von den sechs Leibwächtern zu vermelden, die draußen auf dem Gang warteten. Das medizinische Personal musste den Raum verlassen. Nur zwei Männer durften an der Seite ihres Monarchen bleiben: General Waris und der »Griffelhalter des Großen Hauses«.
    Dieses Amt bekleidete derzeit ein blasser, schmächtiger, kahlköpfiger Mann namens Nefermaat. Er war der höchste Schriftführer des Reiches: Alles, was Isfet von sich gab, wurde von Nefermaat digital aufgezeichnet und zusätzlich mitstenografiert. Das war nötig, weil jeder Beschluss des Pharaos Gesetzeskraft hatte. Nicht einmal die Juristen von Baqat durchschauten die im Verlaufe vieler Dynastien aufgehäuften kaiserlichen Erlasse, wenngleich sie von dem Gesetzeswirrwarr nicht schlecht lebten.
    Während der

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