Die unsichtbare Pyramide
oben als auch nach unten sich Trevirs Blicken entzogen. Ihr Durchmesser mochte einhundert Fuß betragen. Zahlreiche Badda bewegten sich auf schmalen Stegen und über Treppen an den Wänden dieses hohlen Zylinders entlang. Die Luft war ein wenig muffig, aber überraschend trocken und warm.
Unweit des Torwegs, durch den Ceobbas Gefolge sich wie ein Hundertfüßler in den Höhlendom schlängelte, hatten die Baumeister einen kleinen Palast in den Fels geschlagen, zumindest deutete die prächtige Fassade darauf hin: Man konnte Giebel, Säulen, Balkone, Fenster und Türen sehen. In den meisten Öffnungen glomm das hier typische gelbgrüne Licht.
»Verzeiht, wenn ich Euch kein luftigeres Plätzchen zum Ausruhen anbieten kann«, entschuldigte sich der Baddachef, »aber wenn Ihr mit meinem bescheidenen Heim vorlieb nehmen könntet, würdet Ihr mich glücklich machen.«
Trevir und Dwina bekamen je eine großzügige Zimmerflucht zugewiesen, an denen höchstens die niedrigen Decken störten – man konnte darin nur mit eingezogenem Kopf stehen. Ansonsten wurde ihnen jeder erdenkliche Luxus geboten. Dazu gehörte auch ein separater Raum, den eine Dienerin »Bad« nannte. Trevir staunte nicht schlecht, als ihm gezeigt wurde, dass man hier kochend heißes und eiskaltes Wasser aus der Wand zapfen konnte, um es zusammen in ein großes Becken fließen zu lassen, in dem sogar er komplett untertauchen konnte. Begeistert wusch er sich den Schmutz und auch einen Großteil seiner bleiernen Müdigkeit vom Leib.
Als er noch dampfend in sein Gemach zurückkehrte, waren, abgesehen von den Stiefeln, seine sämtlichen Kleider verschwunden. Stattdessen fand er eine Art Mantel aus einem weichen, grauschwarzen, angenehm leichten Gewebe. Irgendwie wurde er den Eindruck nicht los, das Material bestehe aus Kohle oder Schiefer, aber das war ja wohl kaum möglich. Es schien von gleicher Beschaffenheit zu sein wie die engen Baddaanzüge. Augenscheinlich hatte sich Ceobbas Volk auf findige Weise Ersatz für Schafwolle und andere, eher oberirdische Garnlieferanten verschafft.
Um den nach baddaischen Verhältnissen riesenhaften Gästen ein bequemes Nachtlager zu bieten, waren kurzerhand Zweitbetten in die Gemächer geschafft und hintereinander aufgestellt worden. Trevir überlegte, wie viel Zeit ihm bis zu der angekündigten Besprechung noch blieb. Bestimmt würde er sich noch ein wenig ausruhen können. Er schlüpfte nackt auf dem segmentierten Lager unter die gesteppte Decke, ruckelte ein wenig hin und her, bis er eine bequeme Lage gefunden hatte, und schlief sofort ein.
»Verzeiht, wenn ich Euch wecken muss.« Die piepsige Stimme neben Trevirs Ohr hätte von einer Maus stammen können. Er öffnete die Lider und blickte in große grüne Augen, die ihn aus einem runden, offenbar noch sehr jungen Gesicht mit unverhohlener Neugier betrachteten. Es handelte sich unverkennbar nicht um einen Nager, sondern um ein Mädchen oder vielmehr eine junge Frau – ihre Brüste wölbten sich deutlich unter einem engen Gewand, das farblich mit ihren bestrickenden Augen harmonierte und wie Sternenstaub glitzerte. Sie war selbst nach den Maßstäben ihres Volk kleinwüchsig. Jetzt lächelte sie und sagte: »Mein Name ist Kitta. Der Chef bittet Euch zum Frühstück.«
Trevir fuhr hoch. »Habe ich so lange geschlafen?«
Kitta kicherte, versicherte ihrem Gast aber rasch: »Verzeiht, ich lache Euch nicht aus, ehrenwerter Empfänger. Bei uns beginnt die geschäftige Zeit, wenn die Sonne sich schlafen legt. Ihr habt, was mir sehr Leid tut, nur kurz ruhen können.«
Trevir stöhnte. »Warum müsst ihr Badda euch nur ständig entschuldigen!«
»Tut Euresgleichen das etwa nicht?«
»Eher selten.«
Kitta neigte den großen Kopf zur Seite und sah Trevir nachdenklich an.
»Was ist?«, fragte er und zog die Steppdecke enger um seinen Leib.
»Verzeiht, wenn ich so offen über meine Gedanken spreche, aber mir kommt es ziemlich rücksichtslos vor, wenn man jemand anderen an seiner freien Entfaltung hindert und sich nicht einmal dafür entschuldigt. Ich selbst möchte doch auch nicht rücksichtslos behandelt werden.«
»Ich stamme aus einer Welt, in der Taktgefühl als Luxus gilt. Nur wenige wollen ihn sich leisten. Jeder kämpft um sein eigenes Überleben.«
Kitta senkte traurig den Blick. »Ihr verdient mein Mitgefühl, ehrenwerter Empfänger.«
Trevir hatte die unbestimmte Ahnung, dass er sich in Widersprüche verheddern würde, wenn er noch länger versuchte,
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