Die unsichtbare Pyramide
der kleinen Baddafrau die kulturellen Eigenarten seiner Zeitgenossen verständlich zu machen. Freundlich versicherte er: »Ich wollte Eure Sitten nicht kritisieren, bitte vergebt mir meine Neugier, Kitta. Darf ich mich jetzt ankleiden? Es genügt, wenn Ihr Euch umdreht.«
Kitta kam der Bitte nach, nicht ohne sich vorher entschuldigt zu haben.
Er schwang die Beine aus dem Bett, zog sich rasch den Mantel an, schlüpfte in seine Stiefel und erklärte: »Wenn Ihr wollt, können wir gehen. Ich habe nämlich einen Riesenhunger.«
Die Dienerin drehte sich wieder um, kicherte von neuem, ergriff unverzagt Trevirs Hand und zog ihn aus dem Zimmer. Auf dem Gang begegneten sie Dwina, ebenfalls in einem Baddamantel sowie im Schlepptau einer weiteren Baddafrau. Gemeinsam begaben sie sich in den Bankettsaal des Palastes. Dort erwartete sie an einer langen Tafel bereits der Chef und etwa ein Dutzend weiterer Würdenträger, die ihre Namen nannten und sich für allerlei Dinge entschuldigten, deren Erwähnung an dieser Stelle bedeutungslos ist. Trevir und Dwina nahmen umständlich an dem niedrigen Tisch Platz, der ihre Leidensfähigkeit bald auf eine harte Probe stellen sollte, weil ihnen dauernd die Beine einschliefen. Anschließend wurde ein mehrgängiges Menü aufgetragen, für das die Bezeichnung »Frühstück« eine schamlose Untertreibung war.
Ein nicht unerheblicher Teil der Nahrung bestand aus Pilzen, aber es war auch Fleisch darunter, vermutlich von Tieren, die ebenfalls in den Tiefen der Höhlenwelt lebten. Welche Kreaturen Ceobbas Koch wohl verarbeitet hatte? Trevir widerstand der Versuchung, sich danach zu erkundigen. Das Essen schmeckte vorzüglich und es füllte den Magen.
Das Speisen wurde nur von gelegentlichen Belanglosigkeiten begleitet, die leise und ehrfürchtig die Tafel kreuzten. Der Baddachef und seine Ratsherren schienen es den Gästen nicht zumuten zu wollen, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Als sich bei Trevir das erste Sättigungsgefühl einstellte und seine unter dem niedrigen Tisch zusammengefalteten Beine unangenehm zu kribbeln begannen, ergriff er die Initiative.
»Ich hoffe, Ihr betrachtet es nicht als ungehörig, aber ich möchte gerne verstehen, was da heute in der Dämmerung geschehen ist. Zuerst der Angriff auf Dwina und mich, dann Eure plötzlichen Respektsbekundungen, die Äußerungen über den verheißenen Empfänger – das alles hat mich ziemlich verwirrt.«
Alle Badda legten ihr Essbesteck zur Seite und widmeten dem Fragesteller ihre volle Aufmerksamkeit. Ceobba nickte verstehend, was bei den zart gebauten Höhlenbewohnern immer den Eindruck hervorrief, ihr schwerer Kopf würde jeden Moment vom dünnen Hals abbrechen. »Verzeiht, ehrwürdiger Trevir, wenn ich Euch beunruhigt habe. Unsere Feindseligkeit hing mit den jüngsten Beobachtungen zusammen. Vor den Toren der oberirdischen Stadt hat ein großes Heer sein Lager aufgeschlagen. Abgesehen von ein paar einzelnen Abenteurern, die wir jedes Mal schnell wieder vertreiben konnten, haben wir uns noch nie einer so gewaltigen Streitmacht gegenübergesehen. Anfangs hielten wir Euch und Eure Begleiterin Dwina für Kundschafter dieser Armee. Wir fragen uns natürlich, warum sie den Frieden Londinors stören.«
»Ihr sprecht immer von Londinor. Am Eingang der Stadt habe ich ein Schild gesehen, auf dem der Name London steht.«
»So hieß einmal die Stadt, von der heute nur noch Ruinen übrig sind, aber mein Volk benutzt diesen alten Namen schon lange nicht mehr. Die von Euch erwähnte Tafel stammt aus der Zeit vor dem großen Unglück, als Badda und Menschen noch von selber Art waren.«
»Ihr…« Trevirs Mund blieb offen stehen. Seine Augen schritten die großköpfigen Zwerge an der Tafel ab. Alle hatten einen hageren, fast kindlich anmutenden Körper, feingliedrige lange Hände mit scharfen krallenartigen Nägeln, riesige Augen, große Köpfe und eine Glatze. Sie waren anders, aber ja, sie waren unverkennbar Menschen!
»Ich sagte doch, dass ihre Anatomie der unsrigen ähnlich ist«, flüsterte Dwina an seiner Seite.
»Verzeiht, wenn ich Euch so anglotze«, entschuldigte sich Trevir. Er bediente sich, ohne es zu merken, schon eine ganze Weile des respektvollen Tons seiner Gastgeber. »Was hat Euch so…« Fassungslos schüttelte er den Kopf.
»Vergebt uns, wenn wir Euch in Verlegenheit gebracht haben«, ergriff nun ein anderer Badda das Wort, der dem Aussehen nach am Tisch den Altersrekord innehatte. Seine bleiche Haut war
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