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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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großen, an die Finsternis gewöhnten Augen mochten die Mäntel wie Fackeln strahlen, dem Menschenpaar dagegen halfen sie zumindest dabei, sich nicht allzu oft die Köpfe anzustoßen.
    Am Ende des Ganges traf die Gruppe auf einen überraschend großen Tunnel, dessen Wände im trüben Glimmen der Umhänge nicht zu erkennen waren. Trevirs Füße liefen über faustgroße Steine und vermoderte Holzbohlen hinweg. Undeutlich sah er am Boden zur Rechten wie zur Linken zwei parallel verlaufende Stränge. Als er mit seiner Stabspitze gegen einen klopfte, hörte es sich wie Eisen an. Was um alles in der Welt mochte die Badda dazu veranlasst haben, diese Schienen zu verlegen? Oder waren nicht sie, sondern die ursprünglichen Bewohner der Verbotenen Stadt die Schöpfer des seltsamen Weges?
    Nachdem die Gruppe etwa eine Meile durch die Dunkelheit marschiert war, öffnete sich der Tunnelweg zu einer Art Graben, der in einen unterirdischen Saal mündete. Hier befanden sich an den Wänden bis zur gewölbten Decke hinauf runde Behausungen, die entfernt an Schwalbennester erinnerten. Oder an kleine Clochans. Trevir musste unweigerlich schmunzeln. Zahlreiche Badda bewegten sich durch das Halbdunkel, das hier dürftig von gelbgrünen Lampen aufgehellt wurde, die aussahen wie große, unten gekappte Eier.
    »Ist das euer Reich?«, fragte er.
    Ceobba antwortete: »Verzeiht, wenn es hochtrabend klingt, aber es sind nur die äußersten Bezirke. Unsere eigentlichen Wohnstätten liegen tiefer als dieses Gewölbe hier.«
    Versonnen las Trevir die Inschrift eines verschmutzten Schildes an der Wand.
    PICCADILLY CIRCUS
    »Das müsste dir doch eigentlich gefallen«, flüsterte Dwina und riss ihren Begleiter damit aus seinen Gedanken.
    »Was?«
    »Du hast mir doch vom Großen Styfic und seiner Gauklertruppe erzählt. Anscheinend hat hier früher einer seiner Zunftgenossen mit Namen Piccadilly gewirkt.«
    »Möglich. Vielleicht hatten diese Worte früher aber auch eine andere Bedeutung.«
    »Mir scheint, die Badda könnten dieses Rätsel lösen. Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum ihre Sprache so fremd klingt.«
    »Das ist doch wohl klar. Sie leben hier völlig abgeschieden von der Welt draußen.«
    »Und doch verstehen sie uns. Möglicherweise liegt in ihrem Wortschatz das Wissen unserer gemeinsamen Vergangenheit verborgen. Ich habe über ihre Anatomie nachgedacht: Ihr zwergenhafter Wuchs, das ungewohnte Ebenmaß ihrer Gliedmaßen, die Kahlheit und ihre großen Augen – sie sind wie Zerrbilder von uns.«
    »Verzeiht, wenn ich mich in Euer Gespräch einmische«, sagte Ceobba – er hatte ungeachtet seines Alters offenbar nicht nur sehr sensible Augen, sondern auch ein ebenso feines Gehör. »Aber Eure Begleiterin ist der Wahrheit schon sehr nahe. Geduldet Euch noch ein wenig, dann werde ich Euch Rede und Antwort stehen.«
    Trevir sah mindestens vier Tunnel, die von der Piccadilly-Circus-Halle abgingen. Ceobbas Gefolge kreuzte eine steinerne Plattform und stieg dann in einen weiteren Graben hinab, der die Gruppe wieder aus dem Saal hinausführte. Nach kurzer Zeit stiegen sie durch einen ziemlich schmalen Schacht in noch größere Tiefen hinab. Hier war das Tunnelsystem weniger großzügig dimensioniert. Auf dem Boden gab es keine Eisenstränge, sondern eine Rinne, durch die möglicherweise einmal Wasser geflossen war. Wände und Decke bildeten einen weiten Bogen aus Mauerwerk. Vielleicht stammten diese Gänge aus einer früheren Epoche als die imposanten Hallen und Tunnel weiter oben. Der Tross nahm mehrere Abzweige und Trevir staunte immer mehr, wie weitläufig dieses unterirdische Labyrinth war.
    Dann ging es in geduckter Haltung durch eine niedrige Röhre noch einmal tiefer hinab. Anfangs glich der grob behauene Durchbruch dem Gang eines riesigen Maulwurfs, aber dann änderte sich die Umgebung erneut. Zum dritten Mal fühlte sich Trevir wie in eine andere Welt versetzt und er ahnte, dass hier das eigentliche »Herzland« der Badda begann. Boden, Wände und die gewölbte Decke wurden wieder glatt und bald waren in Kopfhöhe Friese aus verwirrend verschlungenen Ornamenten zu sehen. Nach einer Weile trafen sie auf einen größeren Gang, in dem die beiden Menschen aufrecht gehen konnten. Hier sahen sie auch wieder die merkwürdigen Eierlampen.
    Das Reich der Badda besaß Gassen und Straßen, Plätze und sogar Kanäle, auf denen kleine Kähne fuhren. Endlich erreichte die Gruppe eine große, kreisrunde Halle, deren wahre Ausmaße sowohl nach

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