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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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von zahlreichen braunen Flecken übersät und schrumplig wie eine Backpflaume. »Ich bin Dambaragh, Erster Parömiograph meines Volkes…«
    »Entschuldigung, aber mit diesem Wort kann ich nichts anfangen.«
    Es war dem alten Dambaragh anzumerken, dass solche Unterbrechungen ein Verstoß gegen die guten Sitten der Badda bedeuteten, aber er überging den Fauxpas und erwiderte lächelnd: »Ein Parömiograph stellt die Parömien zusammen.«
    »Äh…«
    »Das sind Sprichwörter.«
    »Ah!«
    »Eines unserer beliebteren lautet: ›Ein Ausrutscher mit der Zunge ist schlimmer als ein Ausrutscher mit dem Fuß.‹«
    »Ich glaube, ich habe diesen Wink verstanden, Dambaragh.«
    »Verzeiht, wenn ich mich erdreistet habe, Euch zu belehren, ehrenwerter Empfänger. Worauf ich eigentlich hinauswollte: Als Parömiograph beschäftige ich mich intensiv mit der Herkunft unserer Sprichwörter. Deshalb darf ich in aller Bescheidenheit sagen, dass mir die Geschichte der Badda nicht ganz fremd ist.«
    »Entschuldige, Dambaragh, aber du bist unser angesehenster Historiker«, warf Ceobba belustigt ein.
    »Du bist sehr freundlich«, bedankte sich Dambaragh beim Chef und wandte sich wieder den beiden Gästen zu. »Ihr wollt wissen, warum wir so sind, wie wir sind. Nun, manches von dem, was dazu führte, ist in Vergessenheit geraten, aber so viel wurde uns überliefert: Vor einigen hundert Sonnenjahren haben sich die Bewohner Londinors – oder Londons, wie Ihr sagen mögt – mit der Natur auf ein Glücksspiel eingelassen und es verloren. Ein Großteil der Stadt wurde in wenigen Augenblicken zerstört. Infolgedessen breitete sich ein schleichender Tod aus, der weit schlimmer war. Die Menschen starben wie die Fliegen, nicht nur in der Stadt, sondern in ganz Britannia und soweit wir das sagen können sogar weltweit. Hier überlebten nur einige wenige, die in die Tunnel tief unter der Stadt geflüchtet waren.«
    »Und aus jenen entstanden die Badda«, sagte Trevir, weil Dambaragh ihm und Dwina für diese Erkenntnis eine Pause eingeräumt hatte.
    »Aber warum seht ihr so anders aus als wir?«, fragte das Mädchen freiheraus.
    »Die meisten unserer Ahnen waren von jeher die Hässlichen, Missgestalteten und Verachteten. Sie litten wie fast alle anderen unter der grausamen Seuche, die das Menschengeschlecht fast völlig ausrottete. Doch am Ende überlebten sie – wenn auch furchtbar entstellt – die Pandemie, als habe ausgerechnet ihre Ungestalt sie gerettet. Was für eine seltsame Ironie des Schicksals, nicht wahr? In den Augen der Welt waren sie die Schwächsten und erwiesen sich nun in den Höhlen als die Stärksten. Hier, in den lichtlosen Tiefen unter den Ruinen, schufen sie unermüdlich ihr eigenes Reich: Unterlondinor, eine neue Stadt an den Wurzeln der alten. Wie Ihr seht, haben wir uns mit der Dunkelheit arrangiert. Sie wurde unser Freund und Verbündeter. Heute können wir das Sonnenlicht des Tages nur kurze Zeit ertragen. Deshalb verlassen wir unsere Höhlen selten und, falls möglich, nur nachts.«
    »Vergebt mir, wenn ich Euch mit Fragen löchere, werte Ratsherren«, wandte Trevir sich mit ausgebreiteten Händen sozusagen an alle – es könnte ja als unhöflich aufgefasst werden, Einzelne zu übergehen –, »doch warum nennt Ihr mich Empfänger?« Er sah nun direkt den Chef an. »Ihr, Ceobba, habt eine Weissagung erwähnt. Von wem stammt sie?«
    Ceobba nickte, um sein Verstehen anzuzeigen. »Verzeiht, wenn ich vergaß, das zu erwähnen. Der Prophet hieß Abacuck. Er sah das Unglück voraus, aber nur wenige hörten auf seine Warnungen. Mit dieser kleinen Schar…«
    »Habt Ihr Abacuck gesagt?«, unterbrach Trevir den Chef. Seine Augen waren weit aufgerissen. Das Erstaunen stand ihm so unübersehbar ins Gesicht geschrieben, dass Ceobba den neuerlichen Verstoß gegen die baddaischen Anstandsregeln großmütig ignorierte. Eine versteckte Rüge erlaubte er sich aber doch.
    »Entschuldigt, wenn ich Euch in Erstaunen versetzt habe.«
    »Ich kenne diesen Namen!«
    »Das habe ich mir beinahe gedacht.«
    Trevir fasste in wenigen Worten seine Geschichte zusammen. Dabei betonte er vor allem die Rolle des legendären Abacuck als Ordensgründer des Dreierbunds und verwies auf die von Molog drohende Gefahr. Er schloss mit den Worten: »Vergebt mir, wenn ich Euch so üble Nachrichten überbringen muss.«
    Ceobba schüttelte sein rundes Haupt. »Es geschieht alles, wie es in Abacucks Buch geschrieben steht. Aber wir haben Hoffnung, denn er sagte, mit

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