Die unsichtbare Pyramide
täuschen, aber mir war so, als hätte ich ein Flüstern gehört.«
»Eine alte Schwäche von mir: Ich neige zu Selbstgesprächen. Könntet Ihr vielleicht die Speerspitze wegnehmen?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Wenn Ihr mir die Kehle durchbohrt, würde das Eurem Gebieter den Spaß verderben. Ihr wisst ja, wie empfindlich der Pharao in solchen Dingen ist.«
»Möglicherweise ist mir das egal.«
Topra durchfuhr ein Schauer. Der überraschend gleichgültige Tonfall des Generals konnte nichts Gutes bedeuten. »Wie meint Ihr das?«
»Unser göttlicher Herrscher und oberster Priester führt in der Kammer des Wissens irgendein obskures Ritual durch, mit dem ich nichts anfangen kann. Dieser Hokuspokus wird ihn nicht retten. Es spielt also keine Rolle, ob Ihr noch zu ihm gelangt oder nicht.«
»Aber Inukith wird sterben…« Topra sog zischend die Luft ein und hob die Fersen rasch noch ein Stück höher, weil Waris wieder den Druck auf die Speerspitze erhöht hatte.
»Ja, das wird sie und ich hoffe, der Gedanke an ihre aussichtslose Lage wird der letzte Funke in Eurem Hirn sein, bevor das Leben in Euch verlischt. Ihr habt Aabuwa getötet. Er war mein Sohn. Und Ibah-Ahiti die einzige Frau, die ich je geliebt habe. Sie wurde von Euch regelrecht hingeschlachtet. Ich durfte meine Liebe zu den beiden nie offen zeigen, doch jetzt, wo alles zu Ende geht, werde ich ihr Blut von Euch zurückfordern.«
Ein wenig sah der falsche Priester auf Zehenspitzen wie ein Balletttänzer in einem antiken Tanzstück aus, wäre da nicht die blutige Speerklinge an seinem Hals gewesen. Topra schwitzte, obwohl es in der Felsenkammer kühl war. Mit dieser Wendung der Dinge hatte er nicht gerechnet. Waris wollte ihn tatsächlich töten, vermutlich nachdem er ihn weidlich gequält hatte. Allerdings würde der General nicht zögern sofort zuzustechen, wenn sein Opfer auch nur versuchte sich zur Wehr zu setzen. Topra blieb keine andere Wahl, als auf Zeit zu spielen.
»Ihr habt doch gesehen, wie Aabuwa mich provozierte. Ich war gezwungen mich zu verteidigen.«
»Mich mögt Ihr getäuscht haben, Spürhund Takuba, aber der Prinz hat Euch durchschaut. Als er Euch des Verrats bezichtigte, sprach er die Wahrheit. Ihr habt nicht in Notwehr gehandelt, sondern versucht, euch eines Mitwissers zu entledigen.«
»Aber das ist doch absurd! Ich… Au!« Wieder hatte der General die Speerspitze etwas tiefer in die Haut seines Gefangenen getrieben. Seine Antwort klang auf eine tödliche Weise kalt.
»Jeder erschafft sich sein eigenes Bild von der Wirklichkeit. In meiner Fassung habt Ihr Euer Leben verwirkt, Takuba. Oder soll ich Euch Topra nennen, wie mein Sohn es getan hat? Ach was! Es lohnt nicht, Toten neue Namen zu geben.«
»Wartet!«, stieß Topra röchelnd hervor, obwohl er wusste, dass es zu spät war.
Plötzlich hörte er ein fauchendes Geräusch, einen klirrenden Laut und spürte zugleich unter dem Kinn einen Stich. Es folgte ein Klappern und der Druck am Hals war verschwunden. Erschöpft sank er auf die Füße zurück und beobachtete die letzte Phase eines kurzen, aber erbitterten Kampfes.
Für den General musste der schwarze Riese wie aus dem Nichts erschienen sein. Die Faust des Nubiers flog auf Waris’ Kinn zu, aber Isfets oberster Leibwächter war ein geschickter Kämpfer. Er duckte sich unter dem Hieb hinweg und zückte fast gleichzeitig einen Dolch. Die Klinge schnellte in einem seitlichen Bogen nach oben und hätte sich wohl unter Hobnajs linke Achsel gebohrt, wenn nicht der Säbel dazwischengekommen wäre. Das Messer wurde Waris aus der Hand gerissen und landete außer Reichweite am Boden. Bevor er reagieren konnte, fegte Hobnaj mit dem rechten Fuß seine Beine weg. Der General fiel rücklings zu Boden und wollte sich herumrollen, um außer Reichweite des mächtigen Rundschwerts zu kommen, aber der Nubier setzte seinem Gegner nach, holte erneut aus und schlug ihm die Breitseite der Klinge gegen die Schläfe. Waris stöhnte noch einmal auf und blieb reglos liegen. Hobnaj nahm den Säbel in beide Hände.
»Töte ihn nicht!«, stieß Topra hervor.
»Keine Sorge. Ich will nur gewappnet sein, falls er noch nicht genug hat.«
»Du hättest ihm fast den Schädel eingeschlagen.«
Nachdem der Nubier mehrmals mit dem Fuß gegen den Leib des Generals getippt und der sich nicht gerührt hatte, fesselte ihn Hobnaj mit seinem Gürtelband. Topra schnitt mit dem Tauchmesser in der Zwischenzeit einen Stoffstreifen aus seinem Priesterrock und
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