Die unsichtbare Pyramide
in Gang. Elektromotoren zerrten die Steintür zur Seite. Topra wechselte einen letzten Blick mit Hobnaj und trat in die Kammer des Wissens.
Sie sah genau so aus, wie Hobnaj und Fatima sie beschrieben hatten: kubisch, die glatten Wände mit farbigen Bildern und Hieroglyphen verziert, der Boden größtenteils als Wasserbassin angelegt und im Zentrum beherrscht von einer quadratischen Insel, aus der ein Sarkophag wie ein schwarzer Opfertisch aufragte. Dieser Vergleich war durchaus angemessen, denn auf der mit eingravierten Zaubersprüchen verzierten Platte lag wie ein Lamm zur Schlachtung Inukith.
Sie war an Hand- und Fußgelenken gefesselt und trug ein langes weißes Gewand aus hauchfeinem Gewebe. An ihrem Kopfende, halb über sie gebeugt, stand Isfet und hielt ihr eine eigenartige Klinge an den Hals. Sie war blau und durchscheinend, als bestünde sie aus Kristallglas oder Saphir. In dem rasiermesserscharfen Schliff der Waffe brach sich das Licht der Feuerschalen, die an den vier Ecken der Kammer aufgestellt waren. Aus einer Wand zu Topras Rechten ragte eine alte Fackelhalterung, die der Pharao zweckentfremdet hatte. In dem Ring hing eine Kette, an die eine zweite Frau gefesselt war. Jemand hatte ihr den Mund mit einem silbernen breiten Band zugeklebt. Topra konnte sie nicht direkt von vorne sehen, aber es musste Inukiths Mutter sein. Sie wehrte sich gegen ihre Fesseln und stieß unverständliche Laute aus. Als sie ihren Kopf dem Neuankömmling zuwandte, durchfuhr ihn ein elektrischer Schlag, zumindest fühlte es sich für ihn so an. Ihr verdankte Inukith also die Informationen über ihn.
Die vermeintliche Amme von Herzog Apophis’ Mündel, die sich am Hof nie zu ihrer Tochter hatte bekennen dürfen, war keine andere als Wira, jene treue Freundin, die Topras Mutter in ihren letzten Stunden begleitet hatte.
»Du bist pünktlich – und offenbar überrascht.« Isfet lächelte dem Ankömmling vom Sarkophag her zu. Es war ein lauerndes Lächeln, ohne jede Herzlichkeit.
Topra hatte die Lage in der Kammer des Wissens zwar überschaut, aber noch lange nicht verdaut. Sein Blick kehrte zu Inukith zurück, deren Brust sich unruhig hob und senkte. Sie musste Todesängste ausstehen. Trotzdem hob sie den Kopf und versuchte ihn zu warnen.
»Kehr um und flieh, Topra! Das ist eine Falle. Er will dich…«
Ihre Stimme erstarb, weil Isfet ihr den Mund zuhielt und sie zugleich den Dolch spüren ließ. Wira riss an der Kette und versuchte ebenfalls Warnungen auszurufen; unter dem Klebeband klangen sie jedoch nur wie ein hektisches Würgen.
Der Pharao packte Inukiths Haar, zog ihren Kopf brutal auf die Basaltplatte zurück und während er sie die Spitze des Dolches spüren ließ, knurrte er ihr ins Ohr: »Still! Dafür habe ich dir den Knebel nicht erspart, sondern damit du deinen Liebsten zur Vernunft bringst.«
»Lieber sterbe ich«, fauchte sie zurück.
»Dann schweig, ehe ich mich vergesse!«
Topra fasste sich ein Herz und rief: »Es scheint am Hof neuerdings Mode zu sein, unschuldigen Untertanen an die Kehle zu gehen. General Waris hat das bei mir, wie Ihr an meinem Halsverband sehen könnt, auch schon versucht. Es ist ihm allerdings nicht gut bekommen. Lasst Eure Schwiegertochter und ihre Mutter sofort frei, Vater!«
»Nenn mich nicht Vater!«, zischte Isfet.
»Wieso? Habt Ihr Gisa etwa nicht geliebt? Ich bin der Sohn Eurer Lieblingskonkubine.«
»Das war sie, bevor sie mich verraten hat – niemand tut so etwas ungestraft. Sie selbst hat sich zur treulosen Buhle gemacht und dich zu ihrem Bastard.«
»Wem die Wahrheit nicht schmeckt, der kocht sich eben eine neue.«
»Das musst gerade du sagen, Takuba. Was behauptest du da über meinen getreuen Waris?«
»Er und die Kaiserin sind es, die Euch verraten haben, Hoheit, und nicht meine Mutter. Eigentlich wollte der General mich töten, weil er in mir den Mörder seines Sohnes und seiner Mätresse sieht. Nun liegt er draußen und rührt sich nicht mehr. Ihr könntet Euch einige Unannehmlichkeiten ersparen, wenn Ihr Inukith und Wira sofort freilasst.«
Isfet blinzelte verwirrt. »Was soll Waris getan haben?«
»Er hat mit Ibah-Ahiti einen Sohn gezeugt: Aabuwa. Wusstet Ihr das nicht?«
Isfet geriet kurzzeitig ins Schwanken. Die blaue Klinge entfernte sich von Inukiths Hals. Das Mädchen bäumte sich keuchend gegen ihre Fesseln auf.
Blitzschnell machte Topra einen Schritt auf den Rand des Beckens zu, fixierte seinen Geist auf die Hand des Pharaos und ließ die Kraft
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